Moskau
Russische Spione vom eigenen Chef verraten

Führungsoffizier der in den USA verhafteten Agenten steht auf der Todesliste des Kreml Moskau. Die Enthüllungen werfen kein gutes Licht auf den russischen Dienst für Auslandspionage.

Christian Weisflog, Moskau
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Die USA wollten Russland nicht noch mehr demütigen. Deshalb nannte Washington den Namen jenes Mannes nicht, der im vergangenen Sommer zehn russische Agenten verraten hatte. Doch nun veröffentlichte die russische Tageszeitung «Kommersant» gestern ihre Recherchen. Demnach wurden die Spione von ihrem eigenen Vorgesetzten enttarnt: einem gewissen Oberstleutnant Schtscherbakow.

Der «Verräter» arbeitete lange Jahre in der Zentrale der russischen Auslandspionage in Moskau als Leiter der amerikanischen Abteilung «S». Diese war für die Einschleusung und Betreuung der so genannten «Illegalen» in die USA zuständig. Spione also, die getarnt als gewöhnliche Zivilisten ohne Diplomatenstatus tätig sind.

Intensive Kontakte in die USA

Die Enthüllungen werfen kein gutes Licht auf den russischen Dienst für Auslandspionage (SWR). Mitunter wurden offenbar auch Anfängerfehler begangen. So soll Schtscherbakows Tochter seit vielen Jahren in den USA leben, ohne dass dies bemerkt oder beanstandet wurde. Sein Sohn, der bei der Drogenkontrollbehörde arbeitete, reiste kurz vor der Verhaftung der Spione in die USA aus. Auch Schtscherbakow selbst verliess sein Heimatland nur drei Tage vor dem USA-Besuch des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew im Juni.

Nach Schtscherbakows Ausreise fürchtete der amerikanische Geheimdienst FBI offenbar, dass die Russen den Verrat wittern und ihre Spione abziehen könnten. Deshalb sollten die Agenten sofort verhaftet werden. Weil US-Präsident Barack Obama den russischen Staatschef nicht brüskieren wollte, verschob er die Festnahmen auf die Tage nach Medwedews Besuch in Amerika.

In Moskau sorgt aber nicht nur der Verrat, sondern vor allem seine Art und Weise für Verärgerung. Schtscherbakow entlarvte mit dem 65-jährigen Michail Wasenkow, der in dem Spionagering eine weitaus wichtigere Rolle spielte als die zum Medienliebling avancierte Anna Chapman.

Wasenko war nämlich einer der wertvollsten und erfahrensten russischen «Illegalen». In den USA lebte Wasenkow unter dem Namen Juan Lazaro. Diese Identität hatte er sich auf seinem langen Weg über Spanien, Chile und Peru zugelegt. Unter dem Deckmantel eines Fotografen knüpfte Wasenkow in ganz Lateinamerika Kontakte zu Geschäftsleuten und Politikern.

Kreml hat einen Killer angesetzt

Alle zehn Spione konnten durch einen gütlichen Agententausch nach Russland ausreisen. Doch damit ist die Sache für Moskau noch nicht erledigt. «Verräter enden immer schlecht», drohte Premierminister Wladimir Putin bereits Ende Juli. «Wir wissen, wer er ist und wo er ist», erklärte ein hoher Kreml-Funktionär dem «Kommersant» und fügte hinzu: «Ein Mercader wurde bereits auf ihn angesetzt.» Jaime Ramon Mercader war ein spanischer Kommunist.

Im Auftrag von Stalins sowjetischem Geheimdienst tötete er 1939 in Mexiko den russischen Revolutionär Leo Trotzki mit einem Eispickel. Schtscherbakow könnte es ähnlich ergehen.