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Das traditionsreiche Austauschprogramm für Studierende fällt dem Brexit zum Opfer. Zwar soll es einen Ersatz geben, die Unis aber werden finanzielle Einbussen hinnehmen müssen.
Auf der Insel hat der erste Feiertag traditionell die grösste Bedeutung der Weihnachtszeit. An diesem Tag bleiben bis auf kleine Lebensmittelläden alle Geschäfte geschlossen, Flüge gibt es kaum, Züge überhaupt nicht. In normalen Jahren dreht sich alles um die Familie.
Weil diesmal im Kampf gegen Sars-CoV-2 viele Beschränkungen gelten und grössere Familientreffen gar nicht möglich sind, hätten Experten und Parlamentarier die Weihnachtsruhe am Freitag womöglich zur Beschäftigung mit dem tags zuvor vereinbarten Brexit-Handelsvertrag genutzt. Doch dauerte es lang, bis der insgesamt 1246 Seiten umfassende Text überhaupt zur Begutachtung vorlag. Bis zum Nachmittag jedenfalls stellte die Regierung lediglich eine 34-seitige Zusammenfassung vor.
Wirtschaftsverbände und die Opposition konzentrierten sich deshalb auf Bekanntes. Ein «Seufzer der Erleichterung» kam in vielen Pressemitteilungen vor, wobei der langjährige Geschäftsführer der deutsch-britischen Handelskammer, Ulrich Hoppe, hinzufügte: «Es bleibt aber ein Seufzer, denn der Handel über den Kanal wird so oder so schwieriger und teurer.» Für Unternehmen komme der Deal viel zu spät, kritisierte Tony Danker vom CBI: «Das hat für ein fesselndes Politdrama gesorgt, aber die britische Industrie bestraft.»
Heftige Kritik zog auch Grossbritanniens Ausstieg aus dem europäischen Studierenden-Austauschprogramm Erasmus auf sich. Das sei «eine schwierige Entscheidung» gewesen, erläuterte Johnson in seiner Pressekonferenz vom Donnerstag, und gab als Grund an, die Insel habe «finanzielle Verluste» gemacht. Noch vor Jahresfrist hatte der Regierungschef im Unterhaus einem Abgeordneten der schottischen Nationalpartei SNP garantiert: «Wir werden auch weiterhin an Erasmus teilnehmen.»
Im vergangenen Jahr beteiligten sich 18'305 Briten an dem europaweiten Austausch. Der Attraktivität der englischen Sprache sowie des hohen Ansehens britischer Unis wegen lag die Zahl der Ankömmlinge vom Kontinent in den vergangenen Jahren meist etwa doppelt so hoch wie jene britischer Studierender im Ausland.
Die finanziell unter Druck stehenden Hochschulen auf der Insel wird die Entscheidung eine dreistellige Millionensumme kosten, hat ein Expertenteam von UUKI bereits im Frühjahr errechnet. Der Kalkulation zufolge zieht die britische Volkswirtschaft aus den Erasmus-Studierenden einen jährlichen Nutzen von umgerechnet 466 Mio Euro/504 Mio Franken, die britische Teilnahmegebühr betrug zuletzt 196 Mio Euro/212 Mio Franken. Er sei «wirklich traurig», teilte der Vizekanzler der Uni Sussex, Adam Tickell, mit: «Im Lauf der Jahre hat Erasmus die Leben Tausender junger Leute verändert.»
Als Ersatz stellte Johnson ein eigenes, weltweites Austauschprogramm in Aussicht, benannt nach Alan Turing (1912-54). Der berühmte Mathematiker, einer der Väter des modernen Computers, hatte keine Verbindungen zum europäischen Kontinent, verbrachte aber einen Teil seiner Studienzeit an der US-Uni Princeton. Wegen seiner Homosexualität wurde er 1952 zu chemischer Kastration verurteilt und nahm sich zwei Jahre später das Leben.