Wie sich Österreichs alter und wohl auch neuer Kanzler im Wahlkampf schlägt. Ein Kommentar des Chefredaktors der österreichischen Tageszeitung «Die Presse».
Österreichs Rolle in Europa? Fehlanzeige. Der erwartete Konjunkturabschwung? Nein. Der Wirtschaftsstandort Österreich? Auch nicht. Aber wenigstens die Dauerbrenner Sicherheit oder Migration? Auch nicht wirklich. Nein, der österreichische Wahlkampf wurde von einem ganz anderen Thema beherrscht. Neben dem logischen, weil aktuellen Klimawandel lautete dies: der Wahlkampf selbst.
Das halbe Land diskutierte, wer was im Wahlkampf nicht darf und wie man das gesetzlich regelt. Ob die staatlich finanzierten Parteien zusätzlich grosse Spenden von Industriellen annehmen dürfen. (Nein, nicht mehr.) Ob Spenden über parteinahe Vereine geschleust werden dürfen oder nicht. (Weiterhin ja.) Und natürlich, wer wen wie «anpatzt». Das ist österreichisch und bedeutet: Man unterstellt dem Gegner irgendwas, was gar nicht oder nur halb stimmt.
Das Thema Parteientransparenz war auch deswegen so präsent, weil es dieses Ibiza-Video war, das Österreichs Korruption kurz vor der EU-Wahl weltberühmt gemacht hat. Darin wurde gezeigt, wie sich 2017 der FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache und sein Lieblingsassistent Johann Gudenus mit zwei Lockvögeln auf einer Finca betrinken.
Die beiden erzählten der Frau, die sie für die reiche Nichte eines noch reicheren osteuropäischen Oligarchen hielten, was sie alles für Parteispenden und mediale Unterstützung bei einem Einstieg bei der wichtigsten österreichischen Boulevardzeitung tun würden: ihnen Staatsaufträge für Strassenbau zuschanzen, zum Beispiel.
Die beiden Herren waren gelegt worden, kurz vor der EU-Wahl wurden die Ausschnitte von «Spiegel» und «Süddeutscher» gezeigt. Die Rücktritte folgten am nächsten Tag. Kanzler Sebastian Kurz versuchte ein paar Stunden, die Regierung zu retten, indem er dem weltverschwörungsaffinen FPÖ-Innenminister auch den Rücktritt nahelegte, dann musste er dem Bundespräsidenten das Regierungsaus verkünden, Neuwahlen waren die logische Folge.
Eine Woche später gewann Kurz die EU-Wahl, auch weil die bisherige Opposition ihn für die Übergangszeit abwählen wollte. Das taten FPÖ und SPÖ dann auch. Kurz hatte sein Wahlkampfgeschenk: Er sei vom Volk mit Mehrheit gewählt worden, das Parlament, also die Verliererparteien der EU-Wahl, hätte ihn aus Rachsucht gestürzt.
Ab diesem Moment war das neben Klimawandel und Wahlkampfstil das dritte Thema: Sebastian Kurz selbst. Der 32-jährige Jüngstkanzler, der international von Regierungschefs wie Donald Trump und Wladimir Putin neugierig herumgereicht wird, hatte schon vor der Neuwahl heftig polarisiert. Entweder sie lieben oder sie hassen ihn, differenzierte Urteile über ihn hört man selten bis nie.
Das macht sich für Kurz bezahlt: Seit Monaten liegt er in allen Umfragen mit 34 bis 36 Prozent vorn. Zehn Prozentpunkte nach ihm folgt erst die SPÖ unter Führung der Tropenmedizinerin Pamela Rendi-Wagner. Knapp dahinter taumeln die Freiheitlichen, die gerade dabei sind, Strache wegen aufgetauchter Spesen aus der Partei zu werfen. Und um Platz vier und fünf kämpfen die Liberalen (Neos) und die Grünen, die nach dem Rauswurf aus dem Parlament 2017 vor einem Comeback stehen.
Nach dem zu erwartenden Wahlerfolg kommt die eigentliche Bewährungsprobe für Kurz, er muss einen Regierungspartner finden. Alle wollen zwar, aber alle stellen hohe Bedingungen und sind ein Risiko für Kurz. Ideologisch ist die FPÖ nicht weit entfernt, aber wegen der Skandale kaum erklärbar. Die SPÖ und ÖVP sind so etwas wie Albtraumpartner: Zu lange zerfleischten sie sich vor 2017 in gelähmten Koalitionen.
Kurz denkt daher auch an neue Wege: Weder gab es jemals eine Dreierkoalition noch eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten. Beides hätte Charme, aber einen Nachteil: Die Stabilität und Verlässlichkeit fehlt. Und die wäre Kurz so wichtig. Denn auch wenn er es gut versteckt: Er ist ein echter Konservativer.
*Rainer Nowak ist Chefredaktor der österreichischen Tageszeitung "Die Presse"