SINAI: Dieses Wüstenkloster beherbergt eine der modernsten Bibliotheken der Welt

Seit dem 2. Jahrhundert zieht es christliche Eremiten und Mönche ans südliche Ende der ägyptischen Sinai-Halbinsel. Trotz der ­weitgehenden Islamisierung des Gebiets hat sich das Katharinenkloster als Hort der wichtigsten christlichen Schriften behauptet.

Jürgen Gottschlich
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Aussensicht des Katharinen-Klosters auf der ägyptischen Halbinsel Sinai. (Bild: Getty)

Aussensicht des Katharinen-Klosters auf der ägyptischen Halbinsel Sinai. (Bild: Getty)

Jürgen Gottschlich

Die vermutlich älteste Bibliothek der Welt liegt an einem der am schwierigsten zugänglichen Orte der Welt. Zu dieser Bibliothek fährt keine U-Bahn und kein öffentlicher Bus. Erreichbar ist sie nur über eine einsame schmale Strasse, die sich von der nächsten Stadt über Stunden durch eine eindrucksvolle leere Wüstenlandschaft hinzieht. Die Bibliothek gehört dem Katharinenkloster, einem griechisch-orthodoxen Kloster, das wie eine Zeitkapsel am südlichen Ende der Sinai-Halbinsel, umgeben von einer muslimischen Welt, seit gut 1500 Jahren existiert.

Nachdem die Bibliothek für mehrere Jahre wegen Restaurationsarbeiten geschlossen war, wurde sie nun vor wenigen Tagen feierlich wiedereröffnet. Der ägyptische Kulturminister Chaled al-Anani war angereist, hohe Würdenträger der orthodoxen Kirche und etliche Wissenschafter aus den USA und Europa, die sich seit langem mit den Schätzen der Sinai-Bibliothek beschäftigen. Die Wiedereröffnung der Bibliothek ist in Ägypten, gerade in Zeiten vermehrter islamistischer Attacken auf Kirchen und Moscheen, ein rares Zeichen der Hoffnung. Nach Jahren zum Teil heftiger Auseinandersetzungen ist nun ein Meilenstein für den Erhalt eines einmaligen, von der Unesco anerkannten Weltkulturerbes erreicht: Das Kloster in der Wüste hat für seine über 3000 Manuskripte, deren Entstehung bis ins 4. Jahrhundert unserer Zeit zurückreichen, eine Bibliothek bekommen, die den modernsten Erkenntnissen der Konservierung und Pflege der wertvollen Hinterlassenschaft angemessen ist. Federführend bei dem Projekt war die berühmte British Library aus London, die einen Teil der Mittel organisierte und ihr Know-how zur Verfügung stellte. Den Rest besorgten orthodoxe Spender aus der ganzen Welt.

Schauplatz mehrerer biblischer Ereignisse

Auf den ersten Blick könnte niemand vermuten, dass ausgerechnet dieses Wüstenkloster nun eine der modernsten Bibliotheken beherbergt. Umgeben von hohen, schier uneinnehmbaren Mauern, sieht es eher wie eine antike Festung denn ein Kloster aus. Es liegt am Ende einer langen Schlucht zwischen schroffen, kahlen Bergen. Einer dieser Berge ist überhaupt der Grund für die Existenz des Klosters. Auf dem 2300 Meter hohen Mosesberg, an dessen Fuss sich das Katharinenkloster befindet, sollen Moses nach dem zweiten Buch Genesis von Gott die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten überreicht worden sein. Dieselben zehn Gebote, nach denen sich die Israeliten, die zu diesem Zeitpunkt nach ihrer Flucht aus Ägypten durch die Wüste irrten, zukünftig richten sollten. Dort, wo jetzt das Kloster steht, soll sich laut Altem Testament der brennende Dornbusch befunden haben, in dem sich Gott Moses erstmals offenbarte. Schon im 2. Jahrhundert hatten sich deshalb einige Eremiten der frühchristlichen Kirche in den Felsspalten des Mosesberges zum Zwiegespräch mit Gott zurückgezogen. Mit der Zeit wurden es immer mehr fromme Männer, die dort siedelten und dabei immer wieder Angriffen nomadischer Wüstenstämme ausgesetzt waren. Deshalb gab der byzantinische Kaiser Justinian in Konstantinopel im 6. Jahrhundert den Auftrag, für die Mönche ein wehrhaftes Kloster zu bauen, das sich gleichzeitig in die Befestigungskette der östlichen Grenze von Byzanz einfügte. Als sich 200 Jahre später das Patriarchat von Alexandria von Konstantinopel abspaltete und die koptische Kirche bildete, blieb das Katharinenkloster der griechisch-orthodoxen Mutterkirche treu. Gelehrte Mönche aus der gesamten griechisch-orthodoxen Welt, aber auch vom Balkan und aus Russland kamen seitdem ins Katharinenkloster, um in aller Abgeschiedenheit von der Welt zu meditieren, zu schreiben und Ikonen zu malen, die heute in der gesamten Orthodoxie berühmt sind.

Mönche wollen ihren Schatz zurück

Einer von ihnen ist «Father» Justin, der Leiter der Sinai-Bibliothek. Ein grosser hagerer Mann in schwarzer Kutte. Mit schwarzem Käppi und langem weissem Bart sieht er genauso aus, wie man sich einen asketischen Mönch in der Wüste vorstellt. Tatsächlich ist Justin US-Amerikaner, ein Katholik, der vor vielen Jahren zum orthodoxen Glauben konvertierte und in die Wüste ging. Wie die übrigen rund 25 Mönche im Wüstenkloster hat er sich von der Welt draussen abgewandt und lebt ganz im Ritus der Mönchsgemeinschaft, wie sie bereits im 4. Jahrhundert festgelegt wurde. Tatsächlich sind die Mönche im Katharinenkloster so etwas wie die letzten Byzantiner. «Wir haben an unseren Regeln und unserer Lebensweise seit dem 6. Jahrhundert im Prinzip nichts geändert», sagt Father Jus­tin. Doch um der Bibliothek willen muss er sich immer wieder auch um die Welt ausserhalb der Klostermauern kümmern. Es ist kein Zufall und hat auch nicht nur mit bibliophiler Begeisterung zu tun, dass sich ausgerechnet die ehrwürdige British Library aus dem anglikanischen London um eine moderne Unterbringung der Sinai-Handschriften verdient gemacht hat. Denn das mit Abstand berühmteste Manuskript des Klosters, der sogenannte Codex Sinaiticus, befindet sich heute zu grossen Teilen in London und gehört zu den absoluten Prunkstücken der British Library. Der Codex (siehe Kasten) ist die älteste erhaltene Handschrift des Neuen Testamentes aus dem 4. Jahrhundert und damit eines der wertvollsten Manuskripte der Welt. Father Justin ist wie die anderen Sinai-Mönche auch der Meinung, dass der Codex zurück ins Katharinenkloster gehört. Doch eine Rückkehr ist nur schwer durchsetzbar. Stattdessen hat sich die British Library für die Modernisierung der Bibliothek engagiert.

So ist es jetzt möglich, die anderen uralten Handschriften des Klosters – die meisten von ihnen in altgriechischer Unzialschrift, aber auch Manuskripte in Latein, Aramäisch oder in slawischen Sprachen – der wissenschaftlichen Forschung zugänglich zu machen. Dass sie überhaupt noch existieren, ist dem extrem trockenen Wüstenklima zu verdanken, aber auch dem erstaunlichen Umstand, dass das Kloster in seiner langen Geschichte, die es zum grössten Teil nach der Islamisierung der arabischen Welt in muslimischer Umgebung verbrachte, nie zerstört wurde und durchgängig immer von Mönchen bewohnt war. Gerade jetzt, wo im nördlichen Sinai IS-Fanatiker nicht nur Militär- und Polizeiposten, sondern auch Moscheen und koptische Kirchen angreifen, ist das Katharinenkloster ein Geschenk für Ägypten. Viele Pilger, aber auch Touristen des Urlaubsortes Sharm el-Sheikh am Roten Meer haben das Katharinenkloster in den letzten Jahrzehnten besucht. Die Wiedereröffnung der Bibliothek könnte dazu beitragen, dass Russland, das nach dem Absturz eines Ferienfliegers über dem Sinai 2015, der angeblich durch eine Bombe des IS verursacht wurde, seinen Flugverkehr einstellte, jetzt wieder Pilger und Touristen nach Sharm el-Sheikh fliegen lässt. Für den Tourismus in Ägypten wäre das ein wichtiges Signal. Die Besucher werden von Sharm el-Sheikh während der Nacht mit Bussen zum Katharinenkloster transportiert. Ab 8 Uhr wird die Besucherpforte geöffnet, bis 12 Uhr müssen alle Gäste wieder draussen sein. Danach senkt sich wieder eine tiefe Ruhe über die ortho­doxe Sinai-Feste am Mosesberg.

Ein Mönch restauriert ein Papyrusdokument in der Bibliothek. (Bild: Jean-Luc MANAUD (Gamma-Rapho)/Getty)

Ein Mönch restauriert ein Papyrusdokument in der Bibliothek. (Bild: Jean-Luc MANAUD (Gamma-Rapho)/Getty)