So viele Iraner in Mekka wie seit Jahren nicht mehr

Jedes Jahr verhandeln Teheran und Riad über die Zahl der iranischen Teilnehmer an der grössten Pilgerfahrt der Welt.

Michael Wrase aus Limassol
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Pilger umringen die Kaaba in der Heiligen Stadt Mekka. Bild: Amr Nabil/AP (Mekka, 7. August 2019)

Pilger umringen die Kaaba in der Heiligen Stadt Mekka. Bild: Amr Nabil/AP (Mekka, 7. August 2019)

Einen Monat lang hatte die iranische Pilgerbehörde mit dem saudischen Hadsch-Ministerium über die Zahl der Mekka-Pilger verhandelt. Dass Riad am Ende 88 500 iranischen Gläubigen die Einreise gestattete, ist eine Überraschung. So viele schiitische Pilger hatten zuletzt vor vier Jahren die Heiligen Stätten besucht. Während dieser Wallfahrt kamen bei einer Massenpanik mehr als 2100 Menschen ums Leben.

Unter ihnen waren auch 464 Iraner. Sie seien für die Katastrophe selbst verantwortlich gewesen, behaupten die saudischen Behörden bis heute, weil sie sich nicht an die «Anweisungen der zuständigen Behörden gehalten hätten». Tatsächlich habe der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman einige Ausgänge und Strassen vorübergehend sperren lassen, um einigen prominenten Pilgern die rituelle Steinigung des Teufels am dritten Tag des Hadsch, ohne das übliche Gedränge zu ermöglichen. Die gewaltigen Pilgerströme waren dadurch ins Stocken geraten, gebrechliche Pilger stürzten, während andere von hinten nachdrängten und so die verhängnisvolle Katastrophe verursachten.

Gut-Wetter-Politik des Kronprinzen

«Derartige Probleme», betont das Hadsch-Ministerium in Riad, soll es in diesem Jahr nicht geben. Für mehr als 100 Millionen Franken errichteten die Saudis ein hochmodernes Krisenzentrum mit dem Namen «911», von dem aus die Stadt Mekka und alle Stationen der Pilgerfahrt mit Hunderten von Videokameras überwacht werden. Gefahren sollen so frühzeitig erkannt und Rettungskräfte bei Unfällen schnellstmöglich zu ihren Einsatzorten gebracht werden.

Laut Berichten aus Iran hat sich das Klima während der diesjährigen Pilgerfahrt bereits markant verbessert. Die von erzkonservativen Saudis normalerweise als «Ketzer» verunglimpften Schiiten seien am Flughafen von Media mit Blumen und Süssigkeiten begrüsst worden. Auch Pilger aus Ghana und Nigeria lobten die Organisatoren, die am Montag acht Muslime aus Grossbritannien persönlich begrüsst hatten: Sie waren mit dem Velo von London nach Mekka gefahren.

Die Imagepflege während des Hadsch erfolgt auf Weisung des saudischen Königs Salman, der sich mit dem Ehrentitel «Hüter der Heiligen Stätten» schmückt, sowie dessen Sohn Mohammed bin Salman, alias MBS. Der mächtige Kronprinz hatte erst vor zwei Wochen das rigide Vormundschaftsgesetz gelockert und den saudischen Frauen Auslandsreisen ohne Zustimmung ihrer Männer oder Väter gestattet. Dennoch könne MBS die gravierenden Menschenrechtsverletzungen seiner Regierung nicht verschleiern, schreibt Ahmed Twaij vom Londoner Kings College in der Analyse für das US-Magazin «Foreign Policy» (FP). Die steigende Zahl der Todesopfer durch saudische Bomben im Jemen, die «grauenvolle Abschlachtung» des Journalisten Jamal Khashoggi sowie «Riads aggressiver Zugang zur Iran-Krise» habe einige sunnitische Verbündete des Wüstenstaates dazu gebracht, ihre Unterstützung für das Königreich zu überdenken.

Hochgeschwindigkeitszug erstmals im Einsatz

Trotzdem werden auch dieses Jahr 2,5 Millionen Pilger, unter ihnen 1,8 Millionen aus dem Ausland, ihrer religiösen Pflicht nachkommen und bei bis zu 43 Grad im Schatten – so die Vorhersage – die Wallfahrt beginnen. Sie startete gestern in Mekka. Höhepunkt ist am Sonntag die Wanderung der Gläubigen zum Berg der Vergebung, auf dem der Religionsgründer Mohammed vor 1400 Jahren seine letzte Predigt gehalten haben soll. Auch um die Staus zwischen den einzelnen Stationen des Hadsch zu verringern, wird in diesem Jahr erstmals der Hochgeschwindigkeitszug Al Haramain (zu Deutsch: Die beiden Heiligtümer) eingesetzt.