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Der grösste Kunstraub seit Jahrzehnten steht vor der Aufklärung. Die Spur führt zu arabischen Clans. Die 2019 gestohlenen Dresdner Kunstschätze dürften verschwunden sein.
Es war einer der spektakulärsten Kunstraube seit Jahrzehnten, der sich am 25. November des vergangenen Jahres in Dresden zugetragen hatte. Schätze von unvorstellbarem Wert wurden aus der weltberühmten Schatzkammer des Grünen Gewölbes entwendet.
Die Täter hatten sich gegen fünf Uhr morgens Zugang zu dem Museum durch ein vergittertes Fenster verschafft, drangen in die barocke, von Kurfürst August dem Starken (1670 bis 1733) angelegte Schatzkammer ein und zerstörten mit einer Axt Vitrinen. Ihre Beute: Diamanten, Brillanten, Perlen aus der Juwelen-Garnitur von Friedrich August I. Wert: mehrere Millionen Euro.
Möglicherweise wird dieser Kunstraub nun aufgeklärt. Mehr als 1600 Beamte aus verschiedenen Bundesländern durchsuchten am Dienstag 18 Objekte in den Berliner Stadtteilen Neukölln, Kreuzberg und Charlottenburg, drei Verdächtige wurden festgenommen.
Nach Polizeiangaben handelt es sich bei den Tatverdächtigen um deutsche Staatsbürger, alle sollen Mitglieder der berüchtigten Berliner Grossfamilie Remmo sein, ein einflussreicher deutsch-arabischer Clan. Unter den Inhaftierten ist auch Clan-Mitglied Wissam Remmo. Der 23-Jährige steht seit Jahren im Visier der Polizei.
Zuletzt wurde er im Februar dieses Jahres wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Zusammen mit Komplizen wird Wissam Remmo für einen Millionen-Raub aus dem Berliner Bode-Museum im Jahr 2017 verantwortlich gemacht. Damals entwendeten die jungen Clan-Mitglieder die 100 Kilogramm schwere Goldmünze „Big Maple Leaf“ im Wert von 3,75 Millionen Euro aus dem Museum in Berlin-Mitte.
Die Beute ist verschwunden, vermutlich wurde sie kurz nach dem Raub eingeschmolzen und das Gold verkauft. Schon kurz nach dem Dresdner-Kunstraub im Grünen Gewölbe fiel der Verdacht auf den Berliner Remmo-Clan, die Fälle aus Berlin und Dresden wiesen mehrere Parallelen auf. Doch fehlten den Ermittlern die Beweise.
Das fehlende Puzzle-Teil zur Überlieferung der Täter lieferten nun DNA-Spuren, die in einem ausgebrannten Fluchtfahrzeug erst jetzt und mit neuer forensischer Technik sichergestellt werden konnten. Die drei Festgenommenen wurden noch am frühen gestrigen Morgen nach Dresden überstellt, wo sie einem Haftrichter vorgeführt werden sollen.
«Wir sind froh, dass bei der Aufklärung eines Kunstraubes ein grosser Erfolg geglückt ist», sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). Niemand solle glauben, «er könne sich über diesen Staat und seine Regeln hinwegsetzen», fügte er hinzu.
Fraglich ist indes, ob sich die arabischen Clans, die vor allem in Metropolen in Nordrhein-Westfalen und in Berlin die Unterwelt kontrollieren, von solchen Polizeiaktionen beeindrucken lassen. «Viele betrachten Deutschland als ihre Beute, die man beliebig ausnehmen kann», sagte Falko Liecke, stellvertretender Bezirksbürgermeister des von der Clan-Kriminalität besonders geprägten Bezirks Neukölln, vor einiger Zeit im Gespräch mit unserer Zeitung.
Die Behörden gehen von 13 «behördenrelevanten» Grossfamilien mit bis zu 10'000 Mitgliedern in der Hauptstadt aus. Sie kommen mit Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Zuhälterei und Raub zu Reichtum. Die Berliner Politik hat Ende 2018 einen Fünf-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Clan-Strukturen auf den Weg gebracht. Mit regelmässigen Razzien wird eine Politik der «kleinen Nadelstiche» verfolgt.
Zudem können die Ermittler einfacher Vermögenswerte der Grossfamilien einziehen, wenn der Verdacht besteht, dass diese mit «schmutzigen» Geldern finanziert worden sind. Im Sommer 2018 hat die Berliner Justiz 77 Immobilien des Remmo-Clans beschlagnahmt. Liecke: «Die Leute fahren einen BMW, den sich die meisten niemals leisten können, beziehen aber Arbeitslosengeld und lachen unseren Staat aus.» Lange Zeit hätten die Behörden darüber hinweggesehen, damit sei nun Schluss.
Möglicherweise zeigt die aggressivere Vorgehensweise der Behörden gegen die Clans doch allmählich Wirkung. Experten rätseln, ob den Grossfamilien langsam das Geld ausgeht - wegen des höheren Fahndungsdrucks, aber auch, weil während der Corona-Pandemie weniger Umsatz mit Schutzgeld-Erpressung, Prostitution und Drogenhandel zu machen ist. Im Sommer ist es in Berlin zu zwei riskanten Überfällen auf Geldtransporter gekommen, die Polizei vermutet arabische Clans hinter den Taten.
Die Überfälle könnten Indiz dafür sein, dass sich die Clans in finanziellen Engpässen befinden. Die Clans beschäftigen die Berliner Gerichte regelmässig. Derzeit stehen Vertreter einer anderen einflussreichen Berliner Grossfamilie vor Gericht. Der Abou-Chaker-Clan streitet sich in einem Berliner Gerichtssaal mit dem als Bushido bekannten Rapper Anis Ferchichi um hohe Geld-Beträge.
Wo die entwendeten Kunstgegenstände aus dem Grünen Gewölbe sind, ist weiterhin unklar. Dass die historischen Brillant- und Diamant-Garnituren unversehrt wieder auftauchen werden, ist unwahrscheinlich. Die Kunstgegenstände waren für Täter auf dem internationalen Kunstmarkt quasi unverkäuflich.
Der Kunstversicherer Stephan Zilkens sagte schon kurz nach dem Raub gegenüber dem ZDF: «Die Diebe haben nur eine einzige Chance: Sie werden ihre Beute auseinandernehmen. Das heisst: Die Steine neu schleifen, damit der antike Schliff nicht mehr erkennbar ist. Nur dann können sie sie im weltweiten Netz von Juwelieren verkaufen.»