Israel hat offenbar eine Rüstungsfabrik in Syrien bombardiert. Jerusalem treibt die Sorge vor syrischen Waffenlieferungen an die Hisbollah um – aber auch die Angst vor einer zusätzlichen Front mit dem Iran.
Susanne Knaul, Jerusalem
Bei einem Luftangriff auf eine syrische Raketen- und Chemiewaffenfabrik sind in der Nacht zu gestern zwei syrische Soldaten getötet worden. Ein Zutun bei dem Angriff will die israelische Regierung weder leugnen noch bestätigen. Die Hinweise darauf, dass die israelische Armee hinter dem Angriff steht, verdichten sich jedoch.
Einer Mitteilung der syrischen Armee zufolge hatten israelische Kampfflugzeuge mehrere Raketen auf das Syrische Wissenschaftliche Studien- und Forschungszentrum (Cers) und ein benachbartes Militärlager für Boden-Boden-Raketen bei Masyaf im Westen Syriens gefeuert. Die syrische Armee warnte in der Mitteilung vor den «gefährlichen Folgen eines solch feindlichen Angriffs für die Sicherheit und Stabilität der Region».
Schon vor einigen Wochen hatte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärt, dass die israelische Armee bereits «Dutzende, Dutzende Male» angegriffen habe, um Waffentransporte aus Syrien an die libanesisch-schiitische Hisbollah zu verhindern. Der Angriff auf die Rüstungsfabrik bei Masyaf hat jedoch insofern eine neue Qualität, da es sich bei dem Angriffsziel um eine syrische Forschungseinrichtung handelt. Zufall ist das nicht: Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, dessen Kämpfer die Truppen von Syriens Präsident Baschar al-Assad unterstützen, war erst vor gut einer Woche nach Damaskus gereist – dies offenbar auch mit dem Ziel, «seine Hand auf die Fabrik zu legen», wie Israels früherer Nationaler Sicherheitsberater Jakob Amidror vermutet, oder «wenigstens Waffen zu bekommen», die dort produziert werden. In einer telefonischen Schaltkonferenz mit Journalisten liess Amidror durchblicken, dass Israel hinter dem Angriff auf Masyaf steht. Israel werde «nicht zulassen, dass moderne Waffensysteme in die Hände der Hisbollah geraten». Ebenso wenig akzeptabel seien «iranische Raketenabschussbasen auf syrischem Boden».
Für Israel ist der lange Arm des Irans, der in Form der Hisbollah bis ins Nachbarland Libanon reicht, ein enormes Sicherheitsproblem. Tausende israelische Soldaten proben seit gestern in der grössten Militärübung der vergangenen 20 Jahre den Kampf gegen feindliche Truppen, die auf dem Boden, in der Luft und zu Wasser angreifen könnten. Die Übung soll zehn Tage lang dauern. Sie richtet sich gegen die Hisbollah – als Abschreckung, aber auch als Vorbereitung auf den nächsten Krieg, der in Israel als kaum ausweichlich gilt.
Eine zusätzliche Front mit dem Iran, der in Jerusalem als gefährlichster Feind gilt, auf syrischem Boden will Israel deshalb unbedingt verhindern. Dieses Ziel verfolgte Regierungschef Netanjahu auch bei seiner Reise nach Sotschi Ende August. Bei Netanjahus Gesprächen mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin ging es vor allem um die Zukunft Syriens. Russland und der Iran sind jedoch Verbündete – in Syrien kämpfen russische Truppen Seite an Seite mit iranischen Soldaten, um Präsident Baschar al-Assad im Kampf gegen die Rebellen den Rücken zu stärken.
Trotz der unterschiedlichen Interessen will Israel Moskau offenbar nicht vor den Kopf stossen. Die Sorge vor einem Konflikt mit Moskau dürfte der Grund dafür sein, dass die Raketen in der Nacht zu gestern aus dem libanesischen Luftraum abgefeuert wurden und nicht direkt über Syrien. Amos Jadlin, Chef des Tel Aviver Instituts für Nationale Sicherheitsstudien (INSS), lobte gestern via Twitter den Angriff auf die Fabrik, «die Chemiewaffen und Fassbomben herstellte, die Tausende syrischer Zivilisten getötet haben». Erst am Vortag hatte die UNO einen Bericht zum Einsatz der syrischen Armee von chemischen Waffen «und anderen Verbrechen gegen Zivilisten» veröffentlicht. Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges vor sechs Jahren sei es zu annähernd 30 Giftgasangriffen gekommen. Die Regierung in Damaskus hatte die Vorwürfe stets bestritten.