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Senioren und Seniorinnen müssen vom Coronavirus besonders geschützt werden. Doch gerade Alters- und Pflegeheime können schnell zu Seuchenherden zu werden. In Belgien starben bereits die Hälfte aller Corona-Toten in Heimen.
Mit dem Ziel, vor allem die älteren Mitmenschen vor dem Coronavirus zu schützen, befindet sich praktisch ganz Europa im kollektiven Hausarrest. Gleichzeitig aber wütet die Seuche dort besonders schlimm, wo die Seniorinnen und Senioren eigentlich sicher sein sollten: in den Alters- und Pflegeheimen.
In Spanien musste die Armee einrücken und ganze Residenzen desinfizieren. Dabei stiessen die Soldaten auf tote Bewohner, die vom Pflegepersonal noch gar nicht entdeckt worden waren. So schnell und so zahlreich fielen sie dem Virus zum Opfer.
Alarmierende Nachrichten gibt es auch aus Italien und Frankreich, wo Altersheime reihenweise zu Seuchenherden erklärt wurden. Und auch in der Schweiz ist die Situation angespannt: In einem Schwyzer Altersheim wurden kürzlich 34 Personen positiv getestet und umgehend isoliert. Trotz aller Vorsichtsmassnahmen und Besuchsverboten zeigt sich: Ist das Virus erst einmal im Heim, breitet es sich schnell aus.
Besonders schlimm ist die Lage in Belgien. Das Land weist eine der höchsten Coronasterberate in Europa auf. Dabei wurden gut die Hälfte der total 4857 Corona-Toten (Stand Donnerstagmorgen) in Alters- und Pflegeheimen gezählt. In vier von fünf Heimen in der Region Brüssel gibt es das Virus bereits. Die Betreiber sind völlig überfordert und haben die Armee sowie die «Ärzte ohne Grenzen» zur Hilfe beigezogen.
Dass es so weit kommen konnte hat verschiedene Gründe: Gesundheitsministerin Maggie De Block verkannte die Gefahren der Pandemie zu lange. Noch Ende Februar bezeichnete sie eine Ärztin, die eindringlich vor dem Virus gewarnt hatte, öffentlich als «Drama Queen». Als sich die Fallzahlen zu erhöhen begannen, konzentrierten sich die Behörden dann vor allem auf die Versorgung der Spitäler. In den vernachlässigten Altersheimen fehlte es an geeigneter Schutzausrüstung und an Beatmungshilfen.
Zweiter Grund ist Belgiens Test-Verhalten. In Belgien wurde lange wegen fehlender Kapazitäten ausschliesslich in Spitälern und nur bei begründetem Coronaverdacht getestet. In den Alters- und Pflegeheimen blieben Infektionen lange unbemerkt. Im Kontakt mit den Pflegerinnen und Pflegern verbreitete sich das Virus dann innert kürzester Zeit.
Dritter Faktor ist die Verknappung des Personals. Viele Altenpfleger haben sich mittlerweile selbst angesteckt. Die Situation unter dem Pflegepersonal sei «dramatisch», so der Notfallarzt Ignace Demeyer gegenüber dem flämischen TV-Sender VTM. Von denen, die sich testen liessen, seien praktisch alle positiv.
Viertens wird der komplizierte belgische Staatsaufbau verantwortlich gemacht. «Die Todeszahl reflektiert den Mangel an Effizienz und Koordination unter den acht Gesundheitsministern auf Ebene Bund, Region und Gemeinschaft», kritisiert der Politologe Geoffrey Pleyers in der Zeitung «Le Soir».
Schlussendlich rührt die hohe Corona-Todesrate in den belgischen Altersheimen auch daher, dass eine differenzierte Zählweise angewendet wird. Anders als zum Beispiel in Deutschland fliessen auch Verstorbene in die Statistik ein, die eindeutige Symptome von Covid19 aufweisen, aber nicht klinisch getestet wurden.
Das Ziel ist es, einen realistischeren Verlauf der Epidemie abzubilden und die Überraschung einer unentdeckten Sterblichkeit zu vermeiden.
Um die Situation in den Griff zu kriegen, will die belgische Zentralregierung jetzt sämtliche Bewohner und das Personal durchtesten lassen. In den nächsten drei Wochen sollen insgesamt 210000 Tests durchgeführt werden. Ob das gelingt ist fraglich. Statt den seit langem angekündigten 10’000 Tests pro Tag wurden nie mehr als maximal 6500 durchgeführt.