Nach der Wahl Ende Oktober droht Tschechien eine politische Krise: In Aussicht stehen eine demokratisch schwach legitimierte Minderheitsregierung und ein paralysiertes Parlament.
Seit Herbst 1989, als in der damaligen Tschechoslowakei die kommunistische Diktatur nach vier Jahrzehnten unterging, gab es keine Einparteien-Regierung mehr. Fast 30 Jahre später droht der Tschechischen Republik ein Rückfall in die vordemokratische Zeit: Ein Autokratengespann ist im Begriff, sich die Macht brüderlich zu teilen: ein Präsident, der gern den böhmischen Ersatzkönig mimt, und ein Oligarch, der eine Alleinregierung anstrebt.
Präsident Miloš Zeman erteilte Anfang der Woche dem Multimilliardär Andrej Babiš, dessen populistische Partei Ano die Parlamentswahl Ende Oktober mit grossem Vorsprung gewonnen hatte, den Auftrag zur Regierungsbildung. «Mögest du Erfolg haben, Andrej», sagte der Präsident in Richtung seines Machtkumpels.
Nur will mit Babiš keine der anderen acht Parteien, die den Einzug ins Parlament geschafft haben, koalieren, solange gegen ihn wegen Korruption und Missbrauch von EU-Fördermillionen ermittelt wird. Babiš, indirekt noch immer Chef des Mischkonzerns Agrofert, der mit 34000 Beschäftigten der zweitgrösste Arbeitgeber des Landes ist, will daher eine Minderheitsregierung bilden und von Fall zu Fall nach Mehrheiten im Parlament Ausschau halten. Er hoffe, Abgeordnete anderer Parteien von seinem Programm zu überzeugen. Dass Babiš für seine Regierung auch das geeignete Personal fehlt, verrät seine Absicht, Ministerposten mit parteiunabhängigen Experten zu besetzen.
Zeman gibt einer Minderheitsregierung sogar den Vorzug: Mehrparteienkoalitionen seien nach diesem Wahlergebnis viel zu kompliziert, sagte er sinngemäss. Hingegen könne die Babiš-Alleinregierung «stabil und erfolgreich sein». Mit Ausnahme der Ano-Bewegung, die mit 78 von 200 Sitzen die mit Abstand stärkste Fraktion bildet, können alle übrigen acht Oppositionsparteien lediglich zwischen 4 und 25 Volksvertreter entsenden. Von Fall zu Fall liessen sich durchaus Mehrheitsbeschaffer finden – fragt sich nur, zu welchem Preis.
Über die Tatsache, dass die Demokratie des Landes bei den letzten Wahlen den grössten Rückschlag seit dem Wendejahr 1989 erlitt, verliert Zeman kein Wort. Immerhin sind die etablierten Parteien, Sozialdemokraten und Bürgerliche, die grossen Verlierer, windige Populisten und Radikale die Gewinner. Stattdessen gibt der Präsident dem 63-jährigen Oligarchen und selbst ernannten Anti-Politiker Babiš bei der Regierungsbildung völlig freie Hand. Sollte er nicht das Vertrauen des neuen Parlaments erhalten, will ihm Zeman erst noch einen weiteren Versuch gewähren. Danach kann sich der Präsident auch eine Minderheitsregierung vorstellen, die am Parlament vorbeiregiert: «Eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer ist keine Bedingung», meint das Staatsoberhaupt. Diese aber war bislang stets Voraussetzung für einen Regierungsauftrag. Dass die Finanzpolizei gegen Babiš ermittelt, war für Zeman nie ein Hindernis.
Die Aussicht, das Gespann Zeman/Babiš könnte unter Ausschaltung des Parlaments für längere Zeit das Land regieren, lässt bei den übrigen Parteien die Alarmglocken schrillen. Dies würde «die Grenze zur Willkür überschreiten», warnte Miroslav Kalousek, Chef der liberalen Top 09. Er rief die übrigen Parteien auf, geschlossen die konstituierende Sitzung des Parlaments am 20. November zu boykottieren. In diesem Fall müsste die alte Regierung unter dem Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka geschäftsführend im Amt bleiben. Auch bliebe Babiš vorerst die politische Immunität entzogen, die ihm nur ein neues Parlament zurückgeben kann und ihn vor weiterer Strafverfolgung schützt. Doch die Opposition ist sich uneins. So überlegen Kommunisten und Rechtsradikale, mit Babiš doch noch ins Geschäft zu kommen.
Rudolf Gruber, Wien