Nach den jüngsten Festnahmen in der Türkei mehren sich Befürchtungen, Erdogan sammle deutsche Gefangene, um einen Austausch zu erpressen. Für diese These spricht auch ein neues Präsidialdekret.
Gerd Höhler, Athen
Die Regierung in Ankara reagiert scharf auf die deutsche Kritik an den offenbar politisch motivierten Festnahmen zweier Deutscher im türkischen Antalya. «Was geht euch das an?», fragte Aussenminister Mevlüt Cavusoglu am Samstagabend an die Adresse Berlins. Cavusoglu sprach bei einer religiösen Feier der islamischen Regierungspartei AKP in seiner Heimatprovinz Antalya. Nach Darstellung von Cavusoglu handelt es sich bei den beiden festgenommenen deutschen Staatsangehörigen um Anhänger des Geistlichen Fethullah Gülen, den die türkische Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Die Bewegung des in den USA lebenden Gülen, der als Erzfeind von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gilt, wird in der Türkei unter dem Kürzel «Fetö» als Terrororganisation eingestuft.
«Wenn wir ein Fetö-Mitglied festnehmen, regt sich Deutschland auf», sagte Cavusoglu. «Wieso stört euch das?», fragte Cavusoglu, an die Bundesregierung gerichtet. Der Aussenminister deutete damit indirekt an, dass die Türkei offenbar den deutschen Behörden keine konsularische Betreuung der Gefangenen gestatten will, obwohl sie dazu nach dem Wiener Abkommen über konsularische Beziehungen verpflichtet ist.
Die beiden Deutschen waren am vergangenen Donnerstag am Flughafen der Touristenhochburg Antalya festgenommen worden. Wie bereits in früheren Fällen informierten die türkischen Behörden das zuständige deutsche Konsulat nicht über die Festnahmen. Erst auf Anfrage deutscher Stellen bestätigte die Flughafenpolizei, dass die Deutschen in Gewahrsam seien. Ihre Namen sind dem Auswärtigen Amt bekannt, wurden aber bisher nicht veröffentlicht. Türkische Medien sprechen von einem Ehepaar mit den Initialen K. A. und S. A. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, angesichts der Festnahmen werde die Bundesregierung ihre Türkei-Politik «vielleicht weiter überdenken».
Nach Darstellung des Auswärtigen Amts haben die bei- den ausschliesslich die deutsche Staatsangehörigkeit. Aussenminister Sigmar Gabriel sagte, es sei ungewiss, ob sie türkische Wurzeln hätten. Demgegenüber erklärte Cavusoglu, die Festgenommenen seien «gleichzeitig türkische Staatsbürger».
Besondere Brisanz bekommen die neuerlichen Festnahmen vor dem Hintergrund eines Dekrets, mit dem Staatschef Erdogan vor zehn Tagen die Strafprozessordnung änderte. Danach können jetzt Verdächtige bis zu sieben Jahre ohne Urteil in Untersuchungshaft gehalten werden. Bisher betrug die Höchstdauer der U-Haft fünf Jahre. Mit einem weiteren Erlass ermächtigte sich Erdogan, inhaftierte Ausländer auszutauschen, wenn das der «nationalen Sicherheit oder den Interessen des Landes» dient.
Das weckt Befürchtungen, Erdogan versuche jetzt gezielt, deutsche Staatsbürger festzusetzen, um damit den Austausch in Deutschland befindlicher türkischer Staatsbürger zu erpressen. Cem Özdemir, Chef der deutschen Partei Die Grünen, sagte: «Erdogan ist kein Präsident, sondern ein Geiselnehmer.»
Nach den jüngsten Festnahmen in Antalya befinden sich mindestens zwölf deutsche Staatsbürger wegen politischer Vorwürfe in türkischer Haft. Alle diplomatischen Bemühungen um ihre Freilassung blieben bisher erfolglos. Umgekehrt bemüht sich Erdogan in Berlin seit langem um die Auslieferung türkischer Staatsbürger. Dabei handelt es sich um rund 250 türkische Diplomaten und Offiziere sowie ihre Familien, die nach dem Putschversuch im Juli 2016 in Deutschland Asyl beantragten.
Ausserdem verlangt Erdogan die Auslieferung von mehr als 4000 mutmasslichen Mitgliedern der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK und anderer linksextremer Gruppen, die in Deutschland leben.