UKRAINE-KONFLIKT: Geheimniskrämerei des Bundes

Seit drei Jahren kennt die Schweiz ein Regime, das die Umgehung der Russland-Sanktionen verhindern soll. Die Umsetzung erfolgt unter grösster Diskretion. Bisher wurde ein Verstoss geahndet.

Balz Bruppacher
Drucken
Ein russischer Offizier und seine Partnerin auf der Krim. (Bild: alery Sharifulin/Getty (Sewastopol, 11. Juni 2016))

Ein russischer Offizier und seine Partnerin auf der Krim. (Bild: alery Sharifulin/Getty (Sewastopol, 11. Juni 2016))

Balz Bruppacher

Wenn Bundesrat Johann Schneider-Ammann heute mit einer 20-köpfigen Wirtschaftsdelegation zu einem offiziellen Besuch nach Russland aufbricht, rückt eine Frage in den Vordergrund, welche die Schweiz seit Jahrzehnten beschäftigt und die auch heute noch umstritten ist. Wie soll das neutrale Land mit internationalen Wirtschaftssanktionen umgehen?

Dass der Wirtschaftsminister und frühere Unternehmer wenig von solchen Zwangsmassnahmen hält, machte er im letzten ­Januar mit ungewöhnlich deutlichen Worten klar. «Sehr problematisch sind (...) die Sanktionen gegenüber Russland sowie dessen Vergeltungsmassnahmen», sagte Schneider-Ammann im Interview der «Luzerner Zeitung» und des «St. Galler Tagblatts» und sprach von Massnahmen, die nichts taugten.

Ein Ende der Sanktionen, die die EU und die USA nach der Annexion der Krim gegen Russland ergriffen hatten, ist allerdings nicht in Sicht. Und für die Schweiz gilt, was der Bundesrat vor drei Jahren beschloss: Ein Regime von Verboten sowie von Melde- und Bewilligungspflichten, die verhindern sollen, dass die Schweiz in Form von Umgehungsgeschäften zur Profiteurin der interna­tionalen Sanktionen wird. Die mehrfach ergänzte Verordnung umfasst zurzeit eine Liste von rund 200 Gütern, die Meldepflichten und einem Handelsverbot mit der Krim und Sewastopol unterworfen sind. Eine Reihe von Einschränkungen gilt sodann für den Finanzbereich.

Für Vollzug und Kontrolle der Verordnung ist das Staatsse­kretariat für Wirtschaft (Seco) zuständig. Es ahndet auch Verstösse gegen die Verbote und Meldepflichten, wobei das Sanktionenregime des Embargogesetzes zur Anwendung kommt. Dieses sieht in schweren Fällen bis zu fünf Jahre Gefängnis und 1 Million Franken Busse vor.

Ein Verstoss mit bedingter Geldstrafe geahndet

Wer sich nach der Umsetzung der Verordnung und der Kontrollpraxis erkundigt, stösst im Seco auf eine Mauer des Schweigens. Weder über die Zahl und Art der Bewilligungen ist etwas zu erfahren. Noch ist etwas zu den abgelehnten Gesuchen oder zum Resultat der Meldepflichten bekannt. Einzig zur Frage nach den Verstössen erklärte das Seco auf Anfrage unserer Zeitung, dass bisher ein Fall bekannt sei. Es habe sich um eine widerrechtliche Einfuhr von Waffenbestandteilen aus Russland gehandelt. Das Seco verurteilte die betroffene Person zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 30 Franken. ­Einige weitere Angaben zur Praxis des Seco gehen aus der vierteljährlich publizierten Statistik der Ausfuhrbewilligungen für Dual-Use-Güter und besondere militärische Güter hervor. Die Ukraine-Verordnung legt fest, dass das Seco den Export solcher Güter verweigern kann, wenn sie ganz oder teilweise für militärische Zwecke oder wenn sie für einen militärischen Endverwender bestimmt sind.

Diesen Statistiken ist zu entnehmen, dass das Seco gestützt auf die Ukraine-Verordnung seit 2015 vier Gesuche für die Ausfuhr nach Russland und drei für den Export in die Ukraine abgelehnt hat. Im Falle Russlands ging es um Werkzeugmaschinen, Bewegungssimulatoren und Güter der Luftfahrtelektronik von total 1,7 Millionen Franken. Neben zwei kleineren Lieferungen von Gütern für die Informatiksicherheit und für die Störung von Satelliten-Navigationssystemen wurde im Falle der Ukraine die Ausfuhr einer Spezialmaschine im Wert von 2 Millionen Franken für die Herstellung von ­Kanonenrohren untersagt.

Die Antwort des Bundesrats vom Februar 2016 auf eine Interpellation der St. Galler FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter macht deutlich, dass das Seco ­ursprünglich eine restriktivere Praxis bei der Bewilligung von solchen doppelt verwendbaren Gütern eingeschlagen hatte. In der Antwort des Bundesrats hiess es, 2015 seien sieben Gesuche im Wert von 6,8 Millionen Franken für den Export nach Russland ­abgelehnt worden. Auf die Differenz zu den in der Statistik ausgewiesenen 1,7 Millionen Franken angesprochen, erklärte das Seco, gewisse ursprünglich ab­gelehnte Ausfuhrgesuche seien nach Wiedererwägungsgesuchen bewilligt worden. Der Antragsteller habe die rein zivile Endverwendung nachweisen können. Es ging um Werkzeugmaschinen und Messsysteme für den Bau von Gasturbinen und Eisenbahnwagen.

Während Keller-Sutter die Bewilligungspraxis bei den Dual-Use-Gütern als faktisches Exportverbot kritisierte und Umsatz­einbussen allein bei St. Galler Firmen im mittleren zweistelligen Millionenbereich befürchtet hatte, gab es auch Kritik aus entgegengesetzter Optik. So stiess sich der grüne Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli an der im Herbst 2014 erteilten Bewilligung für den Export von militärischem Tarnmaterial nach Russland im Wert von 90 Millionen Franken. Der Bundesrat bestätigte, dass das bewilligte Gewebe aufgrund des Tarndrucks und einer reduzierten Infrarotunterdrückung als besonderes militärisches Gut einzustufen sei. Das Geschäft falle aber deshalb nicht unter die Einschränkung der Ukraine-Verordnung, weil es vor deren Inkrafttreten am 27. August 2014 vertraglich vereinbart worden sei.