Der UNO-Generalsekretär António Guterres hat bislang keine wirksame Strategie gegen Putins Aggression entwickelt. Seine Vorgänger waren in Krisensituationen erfolgreicher.
Als sich die Kriegsgefahr in Europa zuspitzte, plante UNO-Generalsekretär António Guterres in die Demokratische Republik Kongo aufzubrechen. Letztlich musste Guterres seine Reise in das afrikanische Land abblasen. Ein Sprecher kündigte die Rückkehr des Generalsekretärs in das New Yorker Hauptquartier für den 22. Februar an. Das geschehe im Lichte der sich verschlechternden Ukraine-Lage. Am 24. Februar dann startete Russlands Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg auf das Nachbarland.
Die unglücklichen Reiseplanungen spiegeln die diplomatische Wirkungslosigkeit des UNO-Generalsekretärs im Ukraine-Krieg wider. Immerhin dient er derjenigen Organisation, die «den Weltfrieden und die internationale Sicherheit» wahren soll. Und nicht wenige Experten warnen, dass Putins Aggression in einen Weltenbrand eskalieren könnte. Zwar sprach Guterres mehrmals Klartext, verurteilte den Putin-Einmarsch als «Verletzung der UNO-Charta». Der Portugiese prangerte das «entsetzliche menschliche Leid» an und hielt fest: «Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen.»
Aber bislang sind entschlossene Initiativen des Generalsekretärs, das Blutvergiessen zu stoppen, nicht zu erkennen. Guterres schaffte es noch nicht einmal, einen direkten Kontakt zu Putin aufzubauen. Die Frage dieser Zeitung, ob Guterres seit dem unheilvollen 24. Februar mit Putin telefoniert habe, verneinte ein Sprecher Ende letzter Woche. Bis zuletzt meldete die UNO kein Gespräch der beiden. Guterres beriet nach eigenen Angaben «mit einer Reihe von Führungspersönlichkeiten, die in permanentem Kontakt mit Präsident Putin stehen».
Zudem hielt der Guterres-Sprecher fest: «Derzeit haben wir keine Reisepläne nach Europa.» Diplomaten und UNO-Experten fordern aber: Guterres müsste so schnell wie möglich versuchen, persönlich als Vermittler aufzutreten. Und zwar vor Ort, in Moskau und in Kiew.
«Es ist längst überfällig, dass sich der UNO-Generalsekretär António Guterres viel kräftiger einmischt».
Das verlangt der US-amerikanische Historiker Stephen Schlesinger. Guterres müsse einen Waffenstillstand und eine politische Lösung anstreben. Schlesinger fragt: «Wo ist Guterres?»
Ein UNO-Diplomat, der anonym bleiben will, betonte: Angesichts der Lähmung des Sicherheitsrates und der relativen Bedeutungslosigkeit der Vollversammlung bleibe der UNO «nur der Generalsekretär, um als Makler zwischen den verfeindeten Parteien aufzutreten».
Historiker Schlesinger erinnert an die Rolle, die ein Guterres-Vorgänger in der Kuba-Krise 1962 spielte. Der damalige Generalsekretär U Thant schaltetet sich in den Showdown der USA und der Sowjetunion ein, der die Welt fast ins nukleare Verderben gestürzt hätte. Er übermittelte Noten an die Supermächte und trug zu einer Lösung der brandgefährlichen Konfrontation bei.
Ein anderer UNO-Generalsekretär, Javier Pérez de Cuéllar, half, den mörderischen Konflikt zwischen Iran und Irak zu stoppen. Der Peruaner brachte die ausgebluteten Golfstaaten 1988 dazu, sich auf einen Waffenstillstand zu einigen. Allerdings erkannten viele Generalsekretäre die Grenzen ihres Amtes, das ihnen keine reale politische Macht einräumt.
Kofi Annan, der «Mann des Friedens», war zum Zuschauen verdammt, als die Welt auf einen Krieg zusteuerte. Egal, was er sagte, tat oder unterliess: Die USA zogen ein Powerplay gegen Iraks Diktators Saddam Hussein auf. Schliesslich starteten Amerikaner, Briten und Verbündete 2003 einen Krieg gegen den Irak – ohne UNO-Mandat.
Während des russischen Krieges in der Ukraine erscheint es aber fraglich, ob Putin den UNO-Generalsekretär überhaupt als Vermittler akzeptieren würde. Denn die Verurteilungen der russischen Aggression durch Guterres entfachten im Kreml unbändigen Zorn. Bis zum vorigen Jahr galt das Verhältnis zwischen Guterres und Putin noch als fast unbelastet. Um Putins Ja zu seiner Wiederwahl als UNO-Generalsekretär zu sichern, weilte Guterres im Mai 2021 in Moskau.
Guterres und Putin hätten die Wichtigkeit von «Multilateralismus, Solidarität und Kooperation» hervorgehoben, hiess es in einem Communiqué. Auch warteten die Russen mit einer besonderen Geste auf: Guterres erhielt die Ehrendoktorwürde des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen. Es ist die Kaderschmiede für Putins Diplomaten.