Ukraine-Krieg
Boris Johnson profiliert sich als bester Freund von Präsident Selenski

Der britische Premier will «die Stacheln des ukrainischen Stachelschweins stärken» – und macht dem Staatschef das höchste aller Komplimente.

Sebastian Borger, London
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Voll auf Seiten der Ukraine: Der britische Premier Boris Johnson.

Voll auf Seiten der Ukraine: Der britische Premier Boris Johnson.

Andy Rain / EPA

«Bestie» nennen Engländer ihren besten Freund. Premierminister Boris Johnson hat seit einigen Wochen einen neuen Bestie: Wolodimir Selenski. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass sich die beiden über die neuen Entwicklungen im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine austauschen. Und weil dies ein eminent politischer Bestie ist, erfährt die Londoner Presse brühwarm von den stets freundlichen Telefonaten.

Nachzulesen war in den Medien auch schon, dass der britische Regierungschef einen Überraschungstrip nach Kiew erwäge, um seinem Bestie auch persönlich den Rücken zu stärken. Sicherheitsbedenken dürften bisher überwogen haben, jedenfalls ist es zuletzt still geworden um den Plan, es den Regierungskollegen von Polen, Tschechien und Slowenien nachzutun.

«Wolodimir» besitze «Churchill’sche Fähigkeiten»

Einstweilen schwärmt Johnson in London von seinem «brillanten» Freund, mit dem er längst per Du ist. «Wolodimir» besitze geradezu «Churchill’sche Fähigkeiten» dazu, sein Volk gegen die Invasoren zu mobilisieren – solcherlei Vergleich mit dem britischen Kriegspremier Winston Churchill (1874-1965) gilt auf der Insel als höchstes Kompliment. Natürlich diskutiere er mit dem Ukrainer auch über diplomatische Lösungen. Aber vorrangig für den Westen sei militärische Hilfe, erläuterte Johnson der BBC mit einem seiner farbigen Vergleiche:

«Wir müssen die Stacheln des ukrainischen ­Stachelschweins stärken.»

Die schönen Komplimente werden aus Kiew erwidert. Johnson gebe anderen westlichen Staaten «ein Beispiel», hat Selenski den besuchenden Journalisten des Magazins «Economist» gesagt. Bestätigt wird der Angegriffene vom Aggressor. In Moskau gelte der Engländer als «eifrigster Teilnehmer im Rennen der Anti-Russen», so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Unsinn, heisst es dazu in London: «Wir sind aktiv gegen Putin, aber in keiner Weise antirussisch.»

Erst 2000 Visa wurden bewilligt

Wahr ist: Das Königreich warnte schon früh vor der russischen Invasion und schickte – unter Umgehung des deutschen Luftraumes – Defensivwaffen in die Ukraine, als Deutschland und Frankreich noch mit Abwiegelei beschäftigt waren. «God save the Queen», rufen ukrainische Infanteristen, wenn sie britische Panzerabwehrwaffen abfeuern. Demnächst sollen sie zusätzlich Boden-Luft-Raketen vom Typ Star­streak erhalten.

Die Hilfe von der Brexit-Insel beschränkt sich nicht auf Militärisches. Dem ukrainischen Staatshaushalt hat London 100 Millionen Dollar zugeschossen. Aussenministerin Liz Truss hat eine Lieferung von dringend benötigtem Trockenobst, Konserven und Trinkwasser für belagerte Städte auf den Weg gebracht.

Hingegen hinkt Innenministerin Priti Patel bei der Flüchtlingshilfe hinterher. Als einziges Land in Europa beharrt Grossbritannien auf einem Visum für Ukrainer. 150'000 Bürger haben Kriegsflüchtlingen Wohnraum angeboten, 20'000 konnten das komplizierte Genehmigungsverfahren online bewältigen. Aber erst 2000 Visa wurden bewilligt.

Kritik an Johnsons Vergleichvon Ukraine-Krieg und Brexit

Ähnlich zögerlich agierten die Konservativen zunächst bei der Verhängung von Sanktionen gegen jene russischen Oligarchen, die der Hauptstadt den wenig schmeichelhaften Beinamen «Londongrad» eingebracht haben. Und auf peinliche Weise lächerlich machte sich Johnson mit einer Parteitagsrede, bei der er den Ukraine-Krieg mit dem britischen EU-Austritt verglich. «Bitte, Herr Johnson, keine solchen Vergleiche», mahnte Selenskis Vorgänger Petro Poroschenko im britischen TV.

Die politische Szene in London hat wenig Zweifel daran, dass Johnsons Umarmungsstrategie gegenüber der Ukraine und ihrem Präsidenten auch sachfremde Motive hat. Bis die russische Invasion zur Tatsache wurde, schien die Position des Konservativen gefährdet durch immer neue Enthüllungen der Lockdown-Partys in der Downing Street.

Am Dienstag erliess die Kriminalpolizei 20 Strafbefehle gegen Beteiligte, und prompt erneuerte die Opposition ihre Rücktrittsforderungen an den Premierminister. Johnson war – einstweilen? – nicht betroffen, wie ein Sprecher erleichtert mitteilte.