Der amerikanische Präsident Joe Biden wird am Donnerstag in Brüssel an einem Gipfel-Marathon teilnehmen. Dann steht am Samstag in Warschau ein Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen auf dem Programm. Biden will diese Woche den europäischen Verbündeten den Rücken stärken.
Das Gerücht erwies sich als zutreffend: Joe Biden reist diese Woche nicht nur nach Brüssel, um sich am Donnerstag mit amerikanischen Verbündeten zu besprechen. Zwei Tage später trifft der US-Präsidenten in Warschau auch seinen Amtskollegen Andrzej Duda. Während eines bilateralen Treffens in Polens Hauptstadt werde Biden mit Polens Präsident über die humanitäre Krise sprechen, die Russland im Osten Europas verursacht habe. Dies gab das Weisse Haus in Washington in der Nacht auf den Montag bekannt.
Offen ist damit eigentlich nur noch, ob sich Biden auch mit eigenen Augen ein Blick von der Lage an der polnisch-ukrainischen Grenze machen wird. Zeit für einen solchen Abstecher wäre eigentlich ausreichend vorhanden: Das Reiseprogramm von Biden weist am Freitag bisher bloss einen Eintrag auf: «Der Präsident wird nach Warschau, Polen reisen.» Und die Flugzeit zwischen Brüssel und Warschau beträgt bloss zwei Stunden. Am Wochenende hatte Bidens Sprecherin Jen Psaki auf dem Kurznachrichtendienst Twitter allerdings bekannt gegeben, dass der Präsident nicht die Absicht hege, «in die Ukraine» zu reisen.
Wichtigster Teil der nun offiziell vier Tage dauernden Europa-Reise Bidens ist aber wohl dennoch der Donnerstag. In Brüssel trifft sich der US-Präsident zuerst mit den Mitgliedsnationen der Nato. Dann steht ein G7-Gipfel auf dem Programm, zu dem Deutschland eingeladen hat. Abschliessen will Biden den Verhandlungsmarathon mit einem Besuch an der Tagung des Europäischen Rates.
Unklar ist, welche Mitbringsel der amerikanische Präsident für seine europäischen Gastgeber im Gepäck haben wird. Biden könnte eine Erhöhung der Energielieferungen aus Amerika versprechen. In amerikanischen Häfen könnte künftig noch mehr Flüssiggas verschifft werden, um den absehbaren Versorgungsengpass in Europa zu überbrücken. Aber vollständig kompensieren können die Amerikaner ausbleibende Gaslieferungen aus Russland nicht, wie ein Vertreter des Branchenverbandes Center for Liquefied Natural Gas kürzlich sagte.
Während des Nato-Treffens wird Biden bekräftigen, dass Amerika der Ukraine im Kampf gegen die russische Invasionsarmee zur Seite stehe – aber keine Absicht habe, mit eigenen Truppen in den Kampf gegen die russischen Streitkräfte einzugreifen. Gleichzeitig stünden die USA und die Nato bereit, um jeden Zoll Nato-Territorium zu verteidigen, falls Russland seine Offensive fortsetze.
Dieser Positionsbezug kommt einer Gratwanderung gleich, wie auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Wochenende in mehreren Medieninterviews einräumte. So sagte Stoltenberg, dass der Atlantikpakt die Ukraine als «unabhängiger, eigenständiger Staat» unterstütze. Gleichzeitig müsse die Nato aber auch sicher stellen, dass der Konflikt «nicht ausser Kontrolle – oder über die Ukraine hinaus expandiere und eskaliere».
Die Kernaufgabe der Nato bestehe darin, eine Milliarde Menschen zu beschützen, die in den 30 Mitgliedsstaaten lebten. «Es ist äusserst wichtig, dass wir verhindern, dass dieser Konflikt zu einem ausgewachsenen Krieg zwischen der Nato und Russland wird», sagte Stoltenberg dem Fernsehsender NBC.
Ob auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski – dessen Land vor Kriegsbeginn nach einer Nato- und EU-Mitgliedschaft strebte – an den Konferenzen in Brüssel teilnehmen wird, liess Stoltenberg am Wochenende offen. In den vergangenen Tagen hielt Selenski Reden zu Abgeordneten in westlichen Hauptstädten und forderten dabei immer wieder eine Flugverbotszone über der Ukraine. Stoltenberg sagte dazu: «Wir haben uns noch nicht für das genaue Format des Gipfels entschieden.»