SPD-Kanzler Olaf Scholz kündigt im Falle eines Einsatzes von biologischen Waffen eine harte Reaktion der Nato an. Zugleich betont er: Das Bündnis plane keinen Regierungswechsel in Russland: «Es ist die Sache der Völker und Nationen, sich die Freiheit zu erkämpfen».
Ein Kanzler im Krisenmodus – Olaf Scholz (SPD) ist etwas mehr als 100 Tage mit seiner Ampel-Regierung im Amt, die Herausforderung könnte durch den russischen Überfall auf die Ukraine für den Genossen kaum grösser sein. Innert Tagen räumte der 63-Jährige mit über Jahrzehnte geltenden Grundsätzen deutscher Aussen- und Sicherheitspolitik auf, das Ende der deutschen Zurückhaltung in der Nato.
Die Bundeswehr wird massiv modernisiert und aufgerüstet, Deutschland schickt Waffen in die Ukraine, die Regierung in Berlin denkt darüber nach, Deutschland durch das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome zu schützen. Der Kanzler musste gestern im Polittalk «Anne Will» eine Stunde lang die Fragen der Moderatorin parieren – als einziger Studiogast. Die wichtigsten Punkte:
Inhaltsverzeichnis
200 Millionen Euro überweist Deutschland für Öl, Gas und Kohle täglich nach Russland – Geld, das direkt in die Kriegskasse von Russlands Präsident Wladimir Putin fliesst. Hilft Deutschland mit, Putins Krieg in der Ukraine zu finanzieren? Scholz weist dies zurück - und hält weiterhin nichts von einem sofortigen Energieembargo gegen Russland.
Die massiven Wirtschaftssanktionen gegen Russland - insbesondere die Sanktion gegen die russische Zentralbank - führten dazu, dass Putin die Gelder aus dem Energiegeschäft gar nicht verwenden könne. «Durch die präzisen Sanktionen kann Putin mit dem Geld, das er auf seinem Konto hat, gar nichts anfangen.» Deutschland werde aus dem Kohle- und Ölgeschäft in diesem Jahr aussteigen.
Ein sofortiges Lieferembargo hätte für Deutschland indes weitreichende Konsequenzen - wissenschaftliche Prognosen, die das anders beurteilen, seien falsch. «Wenn von einem Tag auf den anderen diese Importe ausblieben, würde das dazu führen, dass ganze Industriezweige ihren Betrieb einstellen müssten». Scholz fügte hinzu:
«Die Wahrheit ist, dass wir eine erhebliche Wirtschaftskrise auslösen würden, wenn wir das tun würden.»
Der ukrainische Präsident kritisiert Deutschlands zögerliches Agieren - unter anderem solle das Land mehr und auch schwere Waffen liefern. Scholz sagt: «Es werden fortlaufend Waffen geliefert. Wir machen das, was möglich ist». Der Kanzler verweist zudem auf die Wirtschaftssanktionen mit «dramatischen Auswirkungen.»
Die Ukraine habe erhebliche Erfolge gegen die russische Übermacht erzielt und es dank internationaler Hilfe und einer starken Moral geschafft, dass Putin seine Ziele – die Besetzung der gesamten Ukraine in kurzer Zeit – nicht erreichen konnte. Ob die Ukraine den Krieg gewinnen kann? Scholz lässt sich zu keiner Prognose hinreissen, sagt: «Wir können sicher sagen, dass wir es mit unseren Massnahmen der russischen Aggression so schwer wie möglich gemacht haben».
US-Präsident Joe Biden hat in seiner Rede in Warschau Wladimir Putin als «Schlächter» und «Kriegsverbrecher» bezeichnet, Putin sei ein «mörderischer Diktator». Der Kreml interpretierte Bidens Rede als Versuch des Westens, in Russland einen Regime-Change herbeizuführen, nach dem Biden auch gesagt hatte: «Um Gottes Willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.» Scholz betont nun, was schon das US-Präsidialamt präzisiert hat: Es gehe nicht um einen Regime-Wechsel.
«Wir sind uns völlig einig, das Regime-Change kein Gegenstand und Ziel von Politik ist, die wir gemeinsam verfolgen.»
Freilich wünsche sich der Westen, dass das Modell der Demokratie überall eine Zukunft habe: «Es ist aber Sache der Völker und Nationen selber, sich diese Freiheit zu erkämpfen.» Scholz liess sich von Anne Will nicht dazu hinreissen, Putin direkt als Kriegsverbrecher zu titulieren - er sagte aber: «Der Krieg ist ein Verbrechen und das ist Putins Krieg.»
Deutschland werde sich in dem Krieg nicht direkt beteiligen - weder bei der Durchsetzung einer Flugverbotszone noch in Form von Friedenstruppen. «Die Nato wird nicht Kriegspartei werden.» Was aber, wenn Putin in dem Krieg biologische oder gar nukleare Waffen einsetzt - muss die Nato dann eingreifen?
Scholz: «Ein Einsatz von biologischen Waffen darf nicht stattfinden. Das würde härteste Konsequenzen haben.» Welche Konsequenzen das sein würden, wollte Scholz nicht sagen. An Putin gewandt fügte er hinzu: «Nur klar ist, dass wir diese Botschaft aussenden: Lass es bleiben!»
Indirekt spricht Scholz dem russischen Machthaber Rationalität ab: «Er zerstört ja gegenwärtig nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland.» Kurz vor Kriegsausbruch war Scholz zu einem längeren Gespräch bei Putin in Moskau.
Scholz verliess Moskau danach mit einem Unguten Gefühl: «Was mich geängstigt hat, ist diese unglaubliche Betonung von Geopolitik im Denken des russischen Präsidenten. Weil letztlich bedeutet das, dass man mit einem der Grundsätze der Friedenspolitik Europas hadert: nämlich dass Grenzen nicht mehr verschoben werden dürfen.»
Selbst ein Ende der kriegerischen Handlungen in der Ukraine und ein Abkommen zwischen Kiew und Moskau würde die Gefahr, die von Russland ausgeht, nach Ansicht von Olaf Scholz nicht kleiner werden lassen. Putin fantasiere darüber, dass Belarus und die Ukraine eigentlich Teile Russlands seien.
«Wer in Geschichtsbüchern blättert und sich Grenzen von früher anschaut und daraus Konsequenzen für die Gegenwart ableitet, der stürzt Europa in ewige Kriege.»
Scholz hält durchaus für denkbar, dass Putin auch Nato-Gebiete - etwa die baltischen Staaten - angreifen könnte. «Wer Gewalt einsetzt, um grenzen zu verschieben, der wird das auch wieder tun.» Die Nato werde «jeden Zentimeter» seines Territoriums gegen Angriffe verteidigen.
Scholz verteidigt die massiven Rüstungspläne - 100 Milliarden-Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr und das Versprechen, dass Deutschland künftig zwei Prozent des BIP in die Verteidigung investieren werde. «Wenn man einen Nachbarn hat, der bereit ist, Gewalt anzuwenden, dann muss man sein Spiel nicht mitspielen. Aber man muss ihm sagen: Versuch es nicht, wir sind stark genug.» Scholz hält Putin für brandgefährlich:
«Es ist schon die Rückkehr des Imperialismus, die wir aus den Worten des russischen Präsidenten hören. Das muss verhindert werden, dass das Praxis wird».