Ukraine-Krieg
US-Präsident Biden reist diese Woche nach Europa: Kommt es dabei auch zu einem Treffen mit Wolodimir Selenski?

Der amerikanische Präsident will nach Brüssel reisen, um sich in der europäischen Kapitale mit seinen westlichen Verbündeten die Lage in der Ukraine zu besprechen. Nutzt Joe Biden diese Europa-Reise auch für ein symbolträchtiges Treffen mit seinen ukrainischen Amtskollegen?

Renzo Ruf, Washington
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Am polnisch-ukrainischen Grenzübergang Korczowa traf sich US-Aussenminister Antony Blinken am 5. März mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba (rechts).

Am polnisch-ukrainischen Grenzübergang Korczowa traf sich US-Aussenminister Antony Blinken am 5. März mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba (rechts).

Olivier Douliery

Das Gerücht hält sich hartnäckig: Wenn der amerikanische Präsident nach Europa reist, dann ist auch ein Abstecher nach Osteuropa geplant. Demnach will Joe Biden am Donnerstag in Brüssel nicht nur einen veritablen Gipfel-Marathon absolvieren und an den Tagungen der Nato, des Europäischen Rates und der G7 teilnehmen; der Amerikaner plant auch eine Visite in Polen.

Dort könnte sich Biden mit eigenen Augen ein Bild von der humanitären Lage machen und mit Flüchtlingen des Ukraine-Krieges zu sprechen. Und vielleicht könnte der Amerikaner auch den Sprung über die polnisch-ukrainische Grenze wagen, so wie dies der US-Aussenminister Antony Blinken Anfang März im Grenzort Korczowa getan hatte.

Der Höhepunkt eines solchen Abstechers in die Ukraine wäre natürlich ein Treffen mit Präsident Wolodimir Selenski. Die beiden Amtskollegen sprechen zwar regelmässig miteinander, um sich über den ukrainischen Widerstand gegen die russische Invasion auszutauschen. Aber persönlich haben sich Biden und Selenski letztmals im September gesehen, als der Ukrainer von Biden im Oval Office des Weissen Hauses empfangen wurde.

Selenski signalisierte am Sonntag einmal mehr, dass er Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin offen gegenüber stehe. Er sagte dem Nachrichtensender CNN, dass ein Scheitern möglicher Gespräche einen Dritten Weltkrieg zur Folge haben könnte. Derweil meldete der türkische Aussenminister, dass die Ukraine und Russland sich «schon fast» einig über ein mögliches Friedensabkommen seien. Ein solcher Pakt sähe einen Waffenstillstand und den Teil-Abzug der russischen Truppen vor.

Polen-Visite «sehr wahrscheinlich»

Zurück zu den Gerüchten über eine Visite Bidens in Osteuropa. Wahr ist: Warschau rechnet mit einem Besuch. Vor einigen Tagen sagte der polnische Aussenminister Zbigniew Rau, dass eine Visite «sehr wahrscheinlich» sei. Auch hat das Weisse Haus die entsprechenden Medienberichte bisher nicht klar dementiert.

Wahr ist auch: Die ukrainische Regierung würde einen Besuch Bidens im Kriegsgebiet begrüssen.

In einem CNN-Gespräch sagte ein hochrangiger Berater Selenskis am Freitag: «Warum kommt Präsident Biden nicht in die Ukraine, um meinen Präsidenten zu treffen?» Auf den Einwand des Moderators, dass ein solches Treffen ziemlich gefährlich sei, antwortete Ihor Zhowkwa:

«Natürlich ist das gefährlich. Aber niemand sollte Angst haben. Und wenn du mutig bist, dann musst du nicht Angst haben, du wirst den Krieg gewinnen.»

Das Vorbild einer solchen Visite Bidens wäre die aussergewöhnliche Zugreise der Ministerpräsidenten von Polen, der Tschechischen Republik und Slowenien, die vorige Woche auch in Amerika für Schlagzeilen gesorgt hatte. Die drei europäischen Spitzenpolitiker waren ins belagerte Kiew gereist, um sich in der ukrainischen Hauptstadt persönlich mit Selenski zu treffen. Die Reise löste zwar in Brüssel Irritationen aus, weil die drei Regierungschefs kein formales Mandat der Europäischen Union besassen; als Geste der Solidarität allerdings wird die Zugfahrt in Erinnerung bleiben.

Ein amerikanischer Präsident reist nie allein

Nun ist es unwahrscheinlich, dass der 79-jährige amerikanische Präsident stundenlang im Zug durch die Ukraine zuckelt. Das Risiko für den mächtigsten Mann der Welt wäre schlicht zu gross. Selbst ein kurzer Besuch der Ukraine würde die Bürokratie des Weissen Hauses vor schier unüberwindbare Probleme stellen. Denn ein amerikanischer Präsident reist niemals allein.

So wurde Biden, als er im Juni 2021 in Genf seinen russischen Amtskollegen traf, von einer Delegation begleitet, die gegen 800 Personen ausmachte. Und für die Bewachung des Tagungsortes am Genfersee waren gegen heimische 3500 Sicherheitskräfte zuständig. Hinzu kamen die Agenten des Secret Service, die Biden rund um die Uhr im Auge behalten.

Weil in Washington trotzdem munter spekuliert wurde, brachte Psaki die Spekulationsblase am Sonntag zum Platzen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb sie: «Es gibt keine Pläne, in die Ukraine zu reisen.»

Diese Stellungnahme wiederum bedeutet nicht, dass es am Freitag nicht zu einem Treffen von Biden und Selenski in Polen kommen könnte. Der amerikanische Präsident ist sich spätestens seit dem emotionalen Auftritt Selenskis vor Kongress-Abgeordneten bewusst, dass im Ukraine-Krieg die Symbolkraft eine ausserordentlich wichtige Rolle spielt. Und weil Biden ein Politiker ist, der grosse Gesten liebt, wäre er wohl für einen Abstecher an die polnische Grenze zur Ukraine zu haben. Denn niemand soll ihm vorwerfen können, dass er Angst habe.

Der Kalte Krieg war nie kälter als zu Beginn der Sechzigerjahre, als sich die USA und die UdSSR rund um den Globus misstrauisch beäugten. Auftritt John F. Kennedy. In einem Klima der Verunsicherung sprach er dem Westen Mut zu, indem er sagte: «Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger Berlins, und deshalb bin ich als freier Mensch stolz, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.»
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Seine Berater waren dagegen. Sie wollten den sowjetischen Generalsekretär nicht vor den Kopf stossen. Ronald Reagan aber setzte sich vor dem Brandenburger Tor durch. Als der US-Präsident in der Frontstadt des Kalten Kriegs eine Rede hielt, sagte er: «Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Herr Gorbatschow, reissen Sie diese Mauer nieder!» Zwei Jahre später wurden diese Worte Realität.
Selbst einige Secret Service-Agenten wussten nichts: Als Präsident George W. Bush acht Monate nach der Invasion des Iraks nach Bagdad flog, um dort mit 600 US-Soldaten das Erntedankfest zu feiern, waren wenige Menschen in die Pläne involviert. Aus Angst vor einem Anschlag verbrachte Bush nur drei Stunden im Irak. Den Trip bezeichnete er als «die aufregendste Reise meiner Präsidentschaft».
«Grosser Moment, grosser Moment»: Das waren die Worte, die Donald Trump sprach, als er als erster amtierender US-Präsident in der Demilitarisierten Zone nordkoreanischen Boden betrat. Zwar dauerte die Visite Trumps nur zwei Minuten, für Trump markierte sie aber eine Zeitenwende in den Beziehungen zwischen Amerika und Nordkorea. Der geplante Friedensschluss allerdings platzte dennoch. (rr)

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