Ungarns rechtspopulistischem Regierungschef droht die Quittung für seine jahrelangen Flirts mit Moskau.
Das Freund-Feind-Spiel beherrscht Viktor Orban wie aus dem Effeff. «Brüssel pfui, Putin hui», verkündete der ungarische Ministerpräsident, 58, immer wieder. Als es bereits nach Krieg roch, war Orban noch zu Gast bei Wladimir Putin – in einer Friedensmission, freilich. Einer aber, bei der es vor allem um Gaslieferungen ging.
Am Sonntag nun finden in Ungarn Parlamentswahlen statt. Und so wie Russlands Einmarsch in der Ukraine die europäische politische Landschaft durcheinandergewirbelt hat, so verhält es sich auch mit Orbans politischer Zukunft. Alles steht Kopf. Es scheint durchaus denkbar, dass der Rechtspolitiker und Chef der Partei «Fidesz» nach zwölf Jahren an der Macht sein Amt abgeben muss. Der 49-jährige Peter Marki-Zay, der als Kandidat des Anti-Orban-Bündnisses «Mindenki Magyarorszaga Mozgalom» («Ungarn gehört jedem») ins Rennen geht, darf sich durchaus Chancen ausrechnen.
2010 noch sahen die Kräfteverhältnisse im Land ganz anders aus. Damals holte Orbans konservative Fidesz 52,7 Prozent, 2014 waren es noch 44,8 und 2018 dann doch wieder satte 49,2 Prozent. Das einzig entscheidende aber für Orban: Im Parlament hält seine Fidesz die absolute Mehrheit.
Seit Russlands Einmarsch in der Ukraine aber hat der Wind für Orban gedreht. Denn seine Flirts mit Moskau gingen weit über reine Rhetorik hinaus. Über Jahre hinweg war die Fidesz-Propaganda ein Spiegel Russlands. Alles wurde getan, um die Ungarn darauf zu konditionieren, dass der Westen nichts anderes sei als ein dekadenter, verkommenen Haufen, dem nur mit konservativen Werten begegnet werden könne. Über Jahre hatte es den Anschien, Orban suche nur finanziell die Nähe zu Brüssel, während er politisch eher im Gleichschritt mit Moskau marschierte.
In der jetzigen Situation wird das zum Problem. Orban ortete in dem Krieg lange nur einen inner-slawischen Disput und erteilte der Lieferung von westlichen Waffen an die Ukraine über ungarisches Gebiet eine Absage.
Doch seine schwächelnde Position ist nicht Orbans einziges Problem: Die Opposition tritt bei diesen Wahlen erstmals als Bündnis widersprüchlichster Partner an. In der Anti-Orban-Allianz haben sich Grüne, Sozialdemokraten, Rechtsextreme, die Liberalen und die Konservativen zusammengeschlossen. Einziges gemeinsames Ziel der Allianz und ihres Kandidaten Peter Marki-Zay: die Absetzung Orbans.
Aber zwölf Jahre unter dem Rechtspolitiker haben tiefe Furchen hinterlassen in der politischen Landschaft Ungarns. Orban hat sich das Wahlrecht zurecht gezimmert, er hat die Massenmedien auf Linie gebracht und zugleich die Geldquellen für freie Medien ausgetrocknet. So bekamen die Oppositionsparteien im Staatsfernsehen ganze fünf Minuten zur Präsentation ihres Programms – während kritische Publikationen offenen Druck bei der journalistischen Arbeit wie aber auch im Vertrieb zu spüren bekommen.
Zudem ködert Orban die Wählerinnen und Wähler im 10-Millionen-Land mit allerlei bürokratischen Zückerchen. Eine 13. Monatspension für alle gab es. Ebenso eine Einkommensteuerbefreiung für unter 25-Jährige sowie eine Einkommenssteuer-Rückzahlung für das Jahr 2021 für Familien mit Kindern. Hinzu kommen Preisbindungen für Benzin und Grundnahrungsmittel.
Kornelia Kiss, freie Journalistin für die regierungskritischen ungarische Zeitung «Magyar Hang», sagt aber, alle innenpolitischen Themen in Ungarn hätten sich wie in Luft aufgelöst. Es gäbe nur noch ein Thema: den Krieg. Der habe der Wahl zwischen Fidesz und Nicht-Fidesz mit einem Schlag eine «neue Dimension» verschafft: Er hat die Wahl zu einer zwischen Ost und West gemacht. Die grosse Frage sei jetzt nur, inwieweit die Fidesz-Wählerschaft den Putin-kritischen Kursschwenk Orbans aufnehme.
Die Frage ist aber auch, wie der Wahlgang an sich ablaufen wird. Über das neue «Wohnsitzgesetz» könnte eine vielfache Abgabe von Stimmen möglich werden. Kritiker schlagen bereits Alarm.
Unter andere Umständen wäre ein Sieg Orbans so gut wie fix. Diesmal ist er eher nur sehr wahrscheinlich. Wie Konerlia Kiss aber auch sagt: «Wer auch immer jetzt gewinnt, wird wahrscheinlich langfristig verlieren.» Denn: Preisbindungen, Steuerbefreiungen, Pensionserhöhungen, all das könne sich Ungarn nicht lange leisten.