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Terror- und coronabedingt verstärkt Frankreich den Grenzschutz. Der Anfang vom Ende des Schengen-Abkommens?
Emmanuel Macron bemühte sich für die Live-Ankündigung eigens an die Landesgrenze in den Pyrenäen, während hinter ihm die Lastwagen vorbeibrausten. Zum einen verdoppelt der Präsident die Zahl der Zöllner, Polizisten und Soldaten an den Übergängen zu Spanien von 2400 auf 4800. Weiter schlägt er seinen EU-Partnern eine «tiefgreifende» Reform des Schengen-Abkommens vor.
Der französische Präsident reagiert damit auf die Forderung konservativer Parteien, das Abkommen zu suspendieren. Das verlangt unter anderem Christian Estrosi, Stadtpräsident von Nizza, wo ein aus Italien eingereister Tunesier kürzlich drei Kirchgänger ermordet hatte.
Macron sagte, die EU müsse nach den Terroranschlägen von Wien, Nizza und Conflans «ihre Reaktion intensivieren». Die Aussengrenzen seien «besser zu schützen» und das europäische Asylrecht zu revidieren, damit die Last nicht nur bei Ersteintrittsländern wie Italien, Griechenland oder Spanien liege.
Zur Kernfrage des Schengener Abkommens – den Grenzen zwischen den einzelnen europäischen Staaten – äusserte sich Macron weniger klar. Frankreich hält am freien Personenverkehr aus Prinzip fest. Aber Macron will der unkontrollierten Zureise aus dem Süden einen Riegel schieben. Zumal sich die wichtigste Route aus Nordafrika zuletzt von Italien und Griechenland an die spanischen Küsten verlagert hat.
Zwischen Atlantik und Mittelmeer hat die französische Polizei seit August 4000 Nordafrikaner ohne Einreisepapiere zurückgewiesen. Das war, ohne dass dies jemand offen sagt, nur mit systematischen Grenzkontrollen möglich, die dem sogenannten Schengen-Acquis an sich widersprechen. Wie andere der 26 Schengen-Mitglieder behilft sich Frankreich mit einer Ausnahmeregelung. Länder wie Deutschland, Österreich oder Spanien benutzten sie schon in der ersten Coronawelle für Grenzschliessungen. Frankreich lässt sie nun in den Pyrenäen faktisch weitergehen.
Indem Macron den meistbenutzten Pyrenäen-Zoll in Perthus mit 35000 Autos am Tag aufsuchte, ohne spanische Regierungsvertreter zu treffen, macht er deutlich, dass sein Land die Virusausbreitung und eben auch die illegale Einreise unilateral bekämpfen will. Oder bilateral: Am Freitag vereinbarten Frankreich und Italien gemeinsame Seekontrollen gegen Migranten aus Tunesien.
Gegen Vorwürfe von links, er mache die Migration für die Terroranschläge verantwortlich, erklärte Macron: «Einen Zusammenhang herzustellen heisst nicht, alles zu verwechseln.»
Solche Töne zeugen vom Willen Macrons, die Endlosdebatte um die Schengen-Freiheit nun wirklich zu einem Ende zu bringen. Schon vor einem Jahr hatte er eine Schengen-Reform mit europäischer Grenzpolizei und Asylbehörde angeregt. Gegen die Opposition namentlich aus Osteuropa war das Vorhaben aber nicht weit gediehen.
Nun geht Macron bedeutend zielstrebiger vor. Am Montag wird er bei einem Videogespräch mit dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz über neue Wege in der europäischen Terrorbekämpfung beraten und sich zweifellos für seine Schengen-Reform einsetzen. Den deutschen Innenminister Horst Seehofer hat er bereits überzeugt, das Thema bei dem EU-Ministertreffen in einer Woche zu traktandieren. 2022 will Macron die Reform über die Bühne bringen – rechtzeitig auf die französischen Präsidentschaftswahlen von Mai 2022 hin.
Seine Widersacherin Marine Le Pen bezeichnet das Vorgehen als Schaumschlägerei. Solange der innere Widerspruch zwischen Grenzschutz und freiem Personenverkehr nicht gelöst sei, werde Macron auch mit seinem neuen Reformversuch scheitern, meint die Vorsteherin der rechten Partei Rassemblement National.