«Unter Al-Sisi hat sich die Lage verbessert»

Der ägyptische Bischof Kyrillos Samaan war vergangene Woche auf Gastreise durch die Schweiz, wo er an verschiedenen Orten Messen hielt. Bei einem kurzen Halt in Luzern stellte sich der 72-Jährige nicht nur kirchlichen, sondern auch politischen und sozialen Fragen.

Interview: Stefan Welzel
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Bischof Kyrillos Samaan in den Strassen von Asyut, dem Hauptsitz seiner Diözese. (Bild: Kirche in Not)

Bischof Kyrillos Samaan in den Strassen von Asyut, dem Hauptsitz seiner Diözese. (Bild: Kirche in Not)

Kyrillos Samaan ist Bischof im ägyptischen Asyut und damit Vorsitzender der grössten Diözese der koptisch-katholischen Gemeinschaft des Landes. Die Lebensumstände für die christliche Minderheit in Ägypten stuft Samaan unter dem aktuellen Autokraten Abdel Fattah al-Sisi als so gut wie schon lange nicht mehr ein. Dennoch sind seine Glaubensbrüder und -schwestern Diskriminierungen und Bedrohungen ausgesetzt.

Bischof Samaan, sie sind 1946 geboren, haben verschiedene ägyptische Machthaber und die unterschiedlichsten Verhältnisse für die christliche Minderheit erlebt. Wie stellt sich die Lage aktuell dar?

Seit mehr als vier Jahren steht die neue Verfassung, an der 50 Experten und Vertreter verschiedener Gesellschaftsgruppen mitgeschrieben haben, darunter auch je ein Abgesandter der katholischen, orthodoxen und evangelischen Christen. Die Verfassung garantiert die Gleichstellung der Christen. Doch gibt es aktuell noch einige bürokratische Schwierigkeiten, welche verhindern, dass wir unseren Glauben wirklich gänzlich frei ausüben können.

Und woran liegt das?

Seit Präsident Anwar al-Sadat, ab 1970 Nachfolger von Nasser, gibt es einen Artikel in der Verfassung, der den Islam als Staatsreligion verankert. Dieser Artikel macht die neuen Gleichstellungsgesetze eigentlich obsolet.

Samaan während seines kurzen Halts in der Altstadt von Luzern. (Bild: Stefan Welzel; 24. September 2018)

Samaan während seines kurzen Halts in der Altstadt von Luzern. (Bild: Stefan Welzel; 24. September 2018)


Doch der Theorie nach ist Ägypten ein säkularer Staat.

In der Präambel der aktuellen Verfassung wird dies festgehalten. Gesetzlich gesehen stellt sich die Lage heute also besser dar als früher. Und für uns Christen ist Al-Sisi der beste Präsident seit langer Zeit. Das bedeutet aber nicht, dass die latente Diskriminierung der Christen im Alltag damit beendet ist.

Gibt es in diesem Bereich Anzeichen der Besserung?

Natürlich, es tut sich schon etwas. Vor drei Wochen wurden 21 neue Gouverneure ernannt. Davon sind zwei Christen – eine davon ist sogar eine Frau. Das geschah in Gebieten, in denen Salafisten besonders präsent sind. Das ist ein klares Zeichen der Administration Al-Sisi, hier den gewählten Repräsentanten und dem Gesetz zum Durchbruch zu verhelfen.

Als lupenreinen Demokraten kann man Al-Sisi aber bestimmt nicht bezeichnen. Die Gewaltentrennung funktioniert nicht. Viele junge Menschen, die seit dem Arabischen Frühling 2011 wiederholt für mehr Freiheit auf die Strasse gehen, sowie andere Regimegegner sind in Haft.

Wir sind noch nicht so weit, eine richtige Demokratie nach europäisch-westlichem Verständnis auf die Beine zu stellen. Viele unserer Mitbürger müssen und wollen vielleicht immer noch von einer starken Hand geführt werden. Doch wir geniessen im Vergleich zu früher mehr Freiheit. Gerade die Meinungs- und Pressefreiheit möchte ich als gegeben betrachten. Der Prozess hin zu einer lupenreinen Demokratie dauert wohl noch.

Und Al-Sisi würde im Zuge eines solchen Prozesses Macht abgeben?

Ja, so schätze ich ihn ein.

Was sind die akutesten Probleme, denen sich Ihr Land gegenübersieht?

Wirtschaftlich stecken wir in der Krise. Und Ägypten wächst jährlich um 2,5 Millionen Einwohner (bei aktuell rund 100 Millionen Bürgern, Anm. d. Red.). Die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung kann mit der demografischen nicht Schritt halten. Der Konsum steigt ständig, die heimische Produktion aber kaum. Wir müssen viel zu viel importieren. Und unser Pfund war auch lange stark überbewertet. Wenigstens hat man nun in der Wüste Ölvorkommen entdeckt. Das wird uns ein bisschen helfen. Von anderer Stelle wurde bereits die Begrenzung von Familiengrössen, also nicht mehr als zwei Kinder pro Paar, diskutiert. Diese Idee wurde dann aber nach breitem Widerstand fast aller Religionsgemeinschaften schnell wieder fallen gelassen.

Was tut Ihre Kirche, um die wachsende Armut zu bekämpfen?

Wir haben verschiedene Projekte. Allen voran unterhalten wir in Ägypten rund 170 Schulen, die allen Bevölkerungsteilen offenstehen. Wir finanzieren das über verschiedene internationale katholische Stiftungen wie «Kirche in Not», dank der ich nun auch hier in der Schweiz bin. Vom ägyptischen Staat erhalten wir nichts.

Kommen wir auf die Phase unter den Muslimbrüdern mit Präsident Mursi in den Jahren 2012 und 2013 zu sprechen. War die Lebensgefahr für Christen damals so latent, wie es in der internationalen Berichterstattung über die vielen Anschläge auf Kirchen den Eindruck machte?

Nein. Im Grossen und Ganzen haben wir mit unseren muslimischen Mitbürgern stets friedlich zusammengelebt. Und das 14 Jahrhunderte lang. Besonders in den kleineren Gemeinden, in Kleinstädten und Dörfern halten die Leute viel mehr und religionsübergreifend zusammen. Ein Beispiel kann ich rund um die Ereignisse vom 14. August 2013 nennen: Etwa 50 Kirchen brannten damals in ganz Ägypten. An vielen Orten aber kamen muslimische Nachbarn zu den Christen und in die Kirchen und sagten: «Macht euch keine Sorgen, wir sind hier und beschützen euch.» Das Problem sind die Extremisten. Und vor denen muss man sich sehr in Acht nehmen. Vor ihnen hat auch die grosse Mehrheit der gemässigten Muslime im Land Angst.

2017 hat der IS den ägyptischen Christen direkt den Krieg erklärt. Wie geht man mit solch einer ­Bedrohung um?

Unter Al-Sisi hat sich die Sicherheitslage verbessert. Die Polizei und das Militär haben die Lage gut unter Kontrolle. Wir fühlen uns sicher.

Was macht der Staat, um die christliche Minderheit zu schützen?

Seit dem Ende der Muslimbruderschaft 2013 und den Vorfällen im August jenes Jahres werden alle Kirchen von der Polizei bewacht. Bei christlichen Feiertagen kommt dann noch das Militär hinzu. Wir haben bei uns in Asyut einen Wallfahrtsort – jeden August kommen rund zwei Millionen Menschen. Vergangenes Jahr wurden wir durch Extremisten massiv bedroht, worauf Vertreter der Polizei und des Geheimdienstes zu mir kamen, um sich mit uns Würdenträgern und anderen Vertretern unserer Gemeinschaft auszutauschen.

Was in der Weltöffentlichkeit oft nicht im Fokus steht, ist die Situation auf der Sinai-Halbinsel. Dort haben sich in den vergangenen Jahren Ableger des IS eingenistet. Wie sieht die Situation heute aus?

Seit rund zwei Jahren herrscht dort ein veritabler Krieg. Kairo entschied sich für eine massive Intervention. Auch um den Waffenhandel durch unterirdische Tunnel hin zum Gazastreifen zu unterbinden. Die Lage hat sich beruhigt, obwohl viele Beduinenstämme den Extremisten geholfen und sie in einem unwegsamen Gelände versteckt haben. Nun sind die IS-Ableger auf der Sinai-Halbinsel aber so gut wie besiegt.

Verlassen wir die Politik in Ägypten und im Nahen Osten und reden über die Katholische Kirche. Wie beur­teilen Sie Papst Franziskus’ Krisenmanagement in der Kindsmissbrauchsdebatte?

Er versucht, Transparenz in die Kirche zu bringen. Die Schuldigen müssen eruiert und bestraft werden, egal welch hohe Position sie in der Kirche innehaben. Missbrauch ist eine grosse Schande, und Papst Franziskus hat den Mut, das auch so zu sagen.

Oft wird in diesem Zusammenhang über das Zölibat diskutiert. Sollte es nicht schon längst Geschichte sein?

In allen unseren orientalischen christlichen Kirchen dürfen Priester vor der Weihe heiraten. Und das ist gut so. Allerdings ist für mich ein verheirateter Priester nur ein halber, weil er die heilige Aufgabe hat, sich um seine Familie genauso zu kümmern wie um seine Gemeinde. Da leidet automatisch das eine oder andere. Mir ist dann einer, der sich zu 100 Prozent der Gemeinde widmen kann, trotzdem lieber. Doch das Zölibat ist ein kirchliches, kein göttliches Gesetz. Was göttlich ist, können wir nicht ändern, das andere aber schon.

Spiritualität, Glaube und Religion verlieren in unserer modernen Konsumgesellschaft fortlaufend an Gewicht. Wie gehen Sie auf junge Menschen zu, um eine 2000 Jahre alte Botschaft zu vermitteln?

Ich war vor sechs Jahren an einer Synode, wo genau darüber gesprochen wurde, wie man junge Leute zurück zum Glauben führen kann. Wir müssen näher an die Alltagswirklichkeit der Menschen. Das fängt damit an, dass wir nicht irgendwelchen fernen Heiligen als Vorbilder huldigen sollten, sondern auch den ‹Helden des Alltags›. Den Eltern, die morgens zur Arbeit gehen, um ihre Kinder zu ernähren, den Grosseltern, die zu diesen schauen und so weiter. Jugendliche suchen nach der Wahrheit und nach Vorbildern. Und damit wir diese Dinge auch in Zukunft vermitteln können, muss die Kirche mit dem technischen Lauf der Welt Schritt halten und zum Beispiel präsenter sein in den sozialen Medien.

Sie waren schon einige Male in der Schweiz. Wie nehmen sie die Gläubigen und die Messen hierzulande im Vergleich zu Ihrer Heimat wahr?

Die Mentalitäten sind sehr unterschiedlich. Hier kommen deutlich weniger Menschen in die Messen, die Kirchen sind fast leer. Diese Entwicklung – in ganz Europa – ist bedenklich. Allerdings muss ich immer wieder feststellen, dass die Frömmigkeit derjenigen, die sich hier zu unserem Glauben bekennen, meist viel tiefer geht. Ein gutes Beispiel sind Wallfahrten. In Europa beten die Gläubigen auf dem Weg, legen die Beichte ab und ordnen die ganze Reise dem «In-sich-Kehren» unter. Bei uns kommen viele einfach schnell an den entsprechenden Ort, zünden eine Kerze an und gehen wieder.