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USA und Türkei sind sich im Syrien-Konflikt alles andere als einig

Bereits am Tag nach der vermeintlichen Einigung zu Nordsyrien gehen die Meinungen über das Vereinbarte bereits erheblich auseinander.

Susanne Güsten aus Istanbul
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Ein türkischer Soldat an der syrischen Grenzen.

Ein türkischer Soldat an der syrischen Grenzen.

Burak Kara/Getty, Ceylanpinar, 18. Oktober 2019

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Berater trauten ihren Ohren nicht. US-Vizepräsident Mike Pence legte am Donnerstagabend in Ankara einen Plan für den Konflikt in Nordsyrien vor, der alle wichtigen Forderungen der Türkei erfüllte. Die türkische Seite sei überrascht darüber gewesen, wie problemlos die Verhandlungen mit Pence liefen, sagten Mitarbeiter von Erdogan nach Medienberichten.

Am Tag danach zeigte sich allerdings, dass die Türken ihre Vereinbarung mit dem US-Vizepräsidenten in wichtigen Punkten ganz anders auslegen als die Amerikaner.

Laut dem 13-Punkte-Plan von Ankara soll die Türkei ihre «Sicherheitszone» in Nordsyrien bekommen, während sich die USA verpflichten, die Kurdenmiliz YPG zum Rückzug zu bewegen. Nach fünf Tagen Kampfpause soll die Türkei mit der Aufhebung der erst vor wenigen Tagen erlassenen US-Sanktionen belohnt werden.

Berichte über neue Kämpfe

Am Freitag gingen die Kämpfe trotzdem weiter. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete Gefechte in Ras al-Ayn. Ankara-treue syrische Milizionäre, die mit den türkischen Truppen in der Gegend einmarschiert waren, hielten demnach auch einen Konvoi des Kurdischen Roten Kreuzes und einer US-Organisation auf. Erdogan sagte dagegen, Berichte über anhaltende Gefechte seien «Desinformation». Der Rückzug der YPG habe begonnen. Wenn die USA ihre Zusagen nicht einhalten sollten, werde der türkische Vormarsch nach Ablauf der Fünf-Tage-Frist «noch entschiedener als vorher» fortgesetzt, kündigte er an.

Kurz nach Abreise der US-Delegation hatte sich gezeigt, dass die Meinungen über das Vereinbarte erheblich auseinandergehen. Die Türkei beansprucht als «Sicherheitszone» das gesamte syrische Grenzgebiet vom Euphrat im Westen bis zur irakischen Grenze im Osten – eine Strecke von genau 442 Kilometern, wie Erdogan am Freitag bekräftigte. In diesem Gebiet, das 30 Kilometer tief auf syrisches Territorium reichen soll, will Ankara neue Dörfer und Städte bauen, um zwei Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei anzusiedeln.

Die türkische Regierung betrachtet die Vereinbarung mit den USA als Grundlage für den Aufbau der «Sicherheitszone». Nach dem Gespräch mit Pence bereiten die türkischen Behörden die Entsendung eigener Polizeikräfte nach Syrien vor, die in der Zone für Ruhe und Ordnung sorgen sollen.

Städte von Russen und Assad-Truppen besetzt

Amerikas Vorstellungen davon, wo die Türkei in Syrien das Ruder übernehmen soll, unterscheiden sich aber drastisch von Erdogans Plänen. Der US-Syrien-Gesandte James Jeffrey sagte, die Türkei dürfe zwar 30 Kilometer weit nach Syrien hinein vorrücken, aber nur im «zentralen Teil des Nordostens» – auf einer Strecke von etwa 100 Kilometern. Auch der kurdische Milizenkommandeur Mazlum Abdi sagte, die YPG akzeptiere die Waffenruhe nur in diesem Gebiet. Zudem dürfe es keine «demografischen Veränderungen» geben, sagte Abdi mit Blick auf den türkischen Plan zur Massenumsiedlung von Flüchtlingen. Es ist unsicher, ob die Türkei ihre Ziele in Syrien erreichen kann. Die YPG hat die syrische Armee und deren russische Beschützer gegen die anrückenden Türken zur Hilfe gerufen. Einige Städte in der geplanten «Sicherheitszone» sind von syrischen Regierungssoldaten und russischen Truppen besetzt.