Seit 2015 führen Namibia und Deutschland bilaterale Gespräche über die Aufarbeitung des Genozids. Doch die Volksgruppen fühlen sich übergangen.
Markus Schönherr, Kapstadt
Otjiwarongo, eine Kleinstadt im ausgetrockneten Norden Namibias: Mütter kehren von der Arbeit heim. Kinder spielen auf der Strasse. Seit die Erdpiste vor kurzem geteert wurde, schieben Nannys die Kinderwagen vor sich her, ohne Steinbrocken ausweichen zu müssen. Doch seit der Sanierung ist es mit dem Frieden in der Von Trotha Street vorbei: Die Bewohner haben den neuen Strassenschildern den Kampf angesagt. Niemand wolle an den blutrünstigen Deutschen erinnert werden, der den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts angeordnet hat. «Die Strasse wurde bereits vor Namibias Unabhängigkeit benannt», sagt Adelheid Shilongo. Auch die Sprecherin der Stadtregierung räumt ein, dass es höchste Zeit für eine Umbenennung sei. In der Kolonie Deutsch-Südwestafrika hatte General Lothar von Trotha den «Vernichtungsbefehl» für Namibias Volksgruppen Herero und Nama gegeben. Ihre Mitglieder wurden erschossen und erhängt, ihre Wasserlöcher vergiftet. Bis 1915 war von Trothas kaiserliche Schutztruppe für einige der unmenschlichsten Kolonialverbrechen verantwortlich, die rund 80 Prozent der Herero auslöschten.
Das Strassenschild in Otjiwarongo steht stellvertretend für Deutschlands schwieriges Erbe in Namibia. Und eine unaufgearbeitete Geschichte. Zu Jahresbeginn hatte eine Gruppe von Ovaherero und Nama eine Sammelklage gegen Deutschland eingebracht, um Entschädigungszahlungen für den «vergessenen Völkermord» zu erwirken. «Wenn die Regierungen Deutschlands und Namibias uns in ihre Verhandlungen einbezogen hätten, dann hätten wir keine Anwälte konsultieren müssen», zitiert die «Deutsche Welle» die Nama-Vertreterin Esther Muinjangue.
Seit 2015 führen Namibia und Deutschland bilaterale Gespräche über die Aufarbeitung des Genozids. Direkten Kontakt mit den Opfern lehnten die Zuständigen in Berlin bislang ab. Nicht zuletzt deshalb kritisieren einige Gruppen den Prozess. Namibias Regierung besteht überwiegend aus Vertretern der Owambo-Volksgruppe. Ihr wird vorgeworfen, nicht im Sinne der Opfer zu handeln. Herero und Nama fühlen sich übergangen. Mit der Klage gaben die Stammesführer an, im «Namen aller Herero und Nama weltweit» zu handeln. Sie wollen aktiv an dem Aufarbeitungsprozess teilnehmen. «Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord», gestand der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, letztes Jahr erstmalig. Eine Entschuldigung aus Berlin fehlt jedoch weiter. Wann immer es zu Forderungen kommt, verweist die Bundesregierung auf die Entwicklungshilfe. Namibia erhalte pro Kopf mehr Geld als alle anderen afrikanischen Länder. Schliesslich habe Deutschland eine «besondere historische Verantwortung gegenüber Namibias Bürgern», heisst es aus dem Auswärtigen Amt.
Allerdings steigt in Namibia mit jedem weiteren Jahr ohne Zugeständnisse die Wut auf Deutschland. Und gleichzeitig gegen die knapp 30 000 deutschen Namibier im Land. Bis heute sprechen sie Deutsch, eine offizielle Minderheitensprache, begehen jedes Jahr Karneval nach Kölner Vorbild und betreiben deutsche Cafés. 2013 benannte die Regierung in Windhoek zahlreiche Städte mit dem Ziel um, das koloniale Erbe abzustreifen. Schuckmannsburg, Caprivi und Lüderitz heissen heute offiziell Luhonono, Sambesi und !Nami?nûs. Viele Bewohner, zumeist deutschsprachige, wissen nicht, wie man das überhaupt ausspricht.
Problematisch: Die Stimmung gegen Deutschland steigt nicht nur von offizieller Seite. Deutsch gilt in Namibia nach wie vor als Wirtschaftssprache. Viele Konzerne und Farmen befinden sich in den Händen deutscher Nachfahren. Infolgedessen setzen arbeitslose, radikale Jugendgruppen Deutsch zunehmend mit Unterdrückung gleich. «Namibia hat 106 Jahre lang unter deutschem und später südafrikanischem Kolonialismus gelitten. In dieser Zeit wurde unserem Volk gewaltsam sein Land geraubt», sagt Job Amupanda. Der 28-jährige Namibier hat Geschichte und Politik studiert. Seine extremen Ansichten hat dies aber nur bestärkt. Regelmässig ruft der Jungpolitiker zu Landbeschlagnahmungen auf. 2013 wurde er von der regierenden Südwestafrikanischen Volksorganisation (Swapo) wegen seiner radikalen Aufrufe verbannt. Per Gerichtsbeschluss holte er sich seine Parteimitgliedschaft zurück. Im Jahr darauf führte er einen Marsch an, bei dem 14 000 Jugendliche einen Antrag auf die Rückgabe von Land stellten. Der Regierung drohte er: «Das ist nur der Beginn. Entweder bekommen wir unser Land durch Verfahren zurück oder wir bedienen uns selbst.»