59 Millionen Iraner sind heute zur Wahl ihres Präsidenten aufgerufen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Heute wählen die 59 Millionen wahlberechtigten Iraner den Nachfolger des moderaten Präsidenten Hassan Rohani, der das Land acht Jahre lang regiert hat. Nach dem Ausschluss hunderter politischer Konkurrenten durch den islamischen Wächterrat steht der Sieger des Urnengangs jetzt schon faktisch fest: Hardliner Ebrahim Raisi. Er könnte unverhofft zum Heilsbringer für die gebeutelte Islamische Republik werden.
Der 60-Jährige hat eine lange Karriere im iranischen Justizapparat hinter sich. Bereits mit 26 wurde er stellvertretender Staatsanwalt von Teheran. Später ordnete er als Mitglied eines vierköpfigen Todeskomitees im berüchtigten Evin-Gefängnis der iranischen Hauptstadt die Hinrichtung von rund 5000 Oppositionellen an. Raisi steht auf der Sanktionsliste der USA und wird von Menschenrechtsorganisationen bezichtigt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. 2017 trat er bereits einmal zu den Wahlen an, unterlag allerdings dem amtierenden Präsidenten Rohani.
An der aggressiven iranischen Regionalpolitik im Libanon, Syrien, Irak und Jemen würde sich zunächst nichts ändern. Für die darniederliegende Wirtschaft des Landes könnte Raisi allerdings zum Heilsbringer werden, falls die Verhandlungen über einen neuen Atomdeal mit dem Iran Früchte tragen und die Vereinigten Staaten die strengen Sanktionen gegenüber dem Land lockern.
Über eine Rückkehr zum Atomabkommen entscheidet im Iran nicht der Präsident, sondern der geistliche Revolutionsführer Ali Khamenei. Er hat die derzeit in Wien laufenden Verhandlungen zur Wiederbelebung des internationalen Atomabkommens mit Iran ausdrücklich gebilligt. Trotz erheblicher Widerstände der iranischen Revolutionsgardisten und anderer Hardliner, zu denen auch Raisi gehört. Ein neuer Vertragstext des ursprünglich von der US-Regierung von Barack Obama 2015 ausgearbeiteten Vertrags soll bereits weitgehend vorliegen. Wenn das Dokument unterschrieben wird, müsste sich auch Präsident Raisi daran halten.
Die iranische Geistlichkeit fürchtet sich vor dem Votum der Bevölkerung. Die Mehrheit der Iranerinnen und Iraner wollen keine Hardliner, sondern Politiker, die den Konfrontationskurs des Regimes gegenüber dem Westen beenden. Nur dann ist ein Ausweg aus der gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Krise im Land möglich. 19 der rund 80 Millionen Iraner leben mittlerweile in Elendssiedlungen. Das Land leidet unter einer extrem hohen Inflation, welche zur schleichenden Verarmung der Mittelschicht geführt hat. Für die schwere Krise verantwortlich sind neben den von den USA verhängten Sanktionen gegen den Iran vor allem Korruption und die weitverbreitete Vetternwirtschaft.
Laut einer aktuellen Umfrage wollen nur 37 Prozent der Bevölkerung wählen gehen. Bekannte Aktivisten, Frauenorganisationen, die iranischen Oppositionsgruppierungen im Ausland sowie der noch immer populäre iranische Ex-Präsident Mahmoud Ahmadinedschad, der ebenfalls disqualifiziert worden war, haben in den sozialen Medien dazu aufgerufen, am Wahltag zu Hause zu bleiben, um gegen das undemokratische Ausleseverfahren des Wächterrates zu demonstrieren. Beobachter im Iran schliessen neue soziale Unruhen nicht aus, auch wenn der Kampf ums nackte wirtschaftliche Überleben den Iranern viel Kraft geraubt hat. Und Persönlichkeiten, die einen Aufstand anführen könnten, sind nicht in Sicht. Alle möglichen Führungsfiguren sitzen im Gefängnis oder sind aus dem Land geflohen. Die sehr junge iranische Bevölkerung scheint die Hoffnung aufgegeben zu haben, das islamische Regierungssystem verändern zu können. Hunderttausende verlassen jedes Jahr das Land.