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Angesichts der rasanten Ausbreitung des Coronavirus in Norditalien hat die Regierung von Giuseppe Conte am Sonntag zu drastischen Massnahmen gegriffen: Ganze Kleinstädte wurden abgeriegelt, das öffentliche Leben kam zum Erliegen.
Seit Sonntag sind sämtliche Zufahrtsstrassen zur lombardischen Kleinstadt Codogno in der Nähe von Mailand geschlossen: Am Ortseingang hat die Polizei Strassensperren errichtet. Um in die 15'000-Einwohnerstadt zu gelangen oder um sie zu verlassen, sind Spezialgenehmigungen erforderlich. Das Ortszentrum gleicht einer Geisterstadt: Ladengeschäfte, Restaurants, Bars und selbst die Kirchen geschlossen. Die Behörden haben sämtliche öffentlichen Veranstaltungen abgesagt und die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, zu Hause zu bleiben und auf "soziale Kontakte" zu verzichten."In Codogno ist keine Menschenseele mehr auf der Strasse. Es ist, als wären wir in Wuhan”, sagte ein Bewohner am Wochenende gegenüber dem italienischen Staatsfernsehen.
Die Situation in Codogno ist Folge eines Notdekrets, das die Regierung angesichts der rapiden Ausbreitung des Coronavirus in den norditalienischen Regionen Lombardei und Venetien an einer Sondersitzung erlassen hat. Um einer Pandemie vorzubeugen, wurden die am stärksten betroffenen Städte komplett abgeriegelt. "Das Betreten und Verlassen dieser Gebiete ist verboten", erklärte Regierungschef Giuseppe Conte. Zunächst werde zur Durchsetzung der Quarantäne auf Polizeikräfte gesetzt; sollten diese nicht ausreichen, würde notfalls auch die Armee mobilisiert. "Wir tun dies zum Schutz Gesundheit der italienischen Bevölkerung, die jetzt das Wichtigste ist", betonte der Premier. Wer sich den Quarantäne-Massnahmen widersetzt, riskiert eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Monaten.
Betroffen waren von dem Notdekret gestern elf Gemeinden mit insgesamt über 50'000 Einwohnern. Alle betroffenen Ortschaften wurden zur "roten Zone" erklärt. Die Bevölkerung soll in den kommenden Tagen oder auch Wochen über sogenannte "sterile Korridore" mit Lebensmitteln und weiteren unverzichtbaren Dingen des täglichen Lebens versorgt werden. In diesen Korridoren soll alles, was in die abgeriegelten gebracht wird oder was diese verlässt, gründlich desinfiziert werden. Per Notdekret wurde in der "roten Zone" auch der öffentliche Verkehr eingestellt: Züge und Überlandbusse halten nicht mehr in den betroffenen Städten. Die Schulen bleiben ebenfalls bis auf weiteres geschlossen, alle Schulreisen wurden abgesagt. Laut dem Leiter des Zivilschutzes sind bereits Dutzende Kasernen zu Quarantänestationen umgebaut worden
Letztlich herrscht aber nicht nur in den abgeriegelten Ortschaften der Ausnahmezustand - auch in den nicht direkt vom Coronavirus betroffenen Gebieten der Lombardei und Venetiens kam das öffentliche Leben zum Teil zum Erliegen. In den beiden Regionen wurden am Sonntag die Sportveranstaltungen abgesagt, darunter auch drei Serie-A-Spiele. Allein für die Partie von Inter Mailand gegen Sampdoria Genua waren im San-Siro-Stadion rund 60'000 Fans erwartet worden - eine Durchführung des Spiels hätte ein ebenso unnötiges wie unkalkulierbares Risiko dargestellt. Das Gleiche gilt für den berühmten Karneval von Venedig, der ebenfalls abgesagt wurde. Zuvor wurde eine Erkrankung in der Stadt gemeldet. Das Fest lief seit dem 8. Februar und wäre am 25. Februar zu Ende gewesen.
Derweil wurden am Wochenende beinahe im Stundentakt neue Erkrankungen am Coronavirus gemeldet - darunter einer im Veltlin, aber auch mehrere in den Grossstädten Mailand und Turin. Mit besonderer Sorge blickt die Regierung in Rom auf Mailand: Eine Wirtschaftsmetropole mit 1,4 Millionen Einwohnern unter Quarantäne zu stellen, würde die Behörden vor ganz andere Herausforderungen stellen als die Abriegelung der Kleinstädte. "Wir können und wir wollen Mailand nicht einfach schliessen", betonte der Regionalpräsident der Lombardei, Attilio Fontana, am Sonntag. Der Bürgermeister Mailands, Giuseppe Sala, sieht dies ähnlich - aber er hat angekündigt, vorsichtshalber eine Schliessung der Schulen und das Verbot von Kundgebungen zu beantragen. Auch die Universitäten sollen geschlossen bleiben.
Italien ist inzwischen das Land mit den meisten Erkrankungen am Coronavirus in Europa: Am Sonntagnachmittag waren es bereits über registrierte 130 Fälle, davon 89 in der Lombardei. Zwei Tage zuvor waren es noch landesweit 17 Fälle gewesen. 26 der Erkrankten befanden sich gestern in einem kritischen Zustand. Am Freitag war ein 78-jähriger Mann an dem Virus verstorben - als erstes europäisches Todesopfer. Am Samstag starb eine 77-jährige Frau, die post mortem ebenfalls positiv auf das Virus getestet wurde. Sie wurde umgehend beerdigt - wegen der Quarantänemassnahmen praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Anwesend war nur der Priester, der die Verstorbene in aller Eile segnete, sowie ein Verwandter.
Eine zeitweilige Aufhebung des Schengen-Abkommens und eine Schliessung der Grenzen, wie sie Lega-Chef Matteo Salvini verlangte, lehnt die Regierung in Rom vorerst ab: "Das wäre eine drakonische und in der derzeitigen Situation völlig überzogene Massnahmen. Wir wollen Italien nicht zu einem grossen Lazarett machen", betonte Ministerpräsident Conte. Die Regierung werde aber weiterhin flexibel bleiben und auf die Entwicklung der Situation reagieren: "Es ist nicht gesagt, dass die Massnahmen von heute auch noch morgen ausreichen werden", betonte Conte.
Lesen Sie hier den Kommentar zu Italien und dem Corona-Virus.