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Der Altkanzler wollte nicht, dass Angela Merkel am Staatsakt spricht.
Für den am Freitag im Alter von 87 Jahren verstorbenen Einheitskanzler Helmut Kohl wird es in Deutschland keinen Staatsakt geben. Stattdessen ist auf Wunsch seiner Witwe Maike Kohl-Richter ein europäischer Staatsakt in Strassburg geplant – vermutlich am 1. Juli. Voraussichtlich am gleichen Tag wird es in Deutschland lediglich ein «staatliches Trauerzeremoniell» geben.
Nach einem Requiem im Dom zu Speyer ist ein militärisches Abschiedszeremoniell mit Ehrenformation vorgesehen. Anschliessend wird Kohl auf dem Friedhof in Speyer beigesetzt. Also nicht im Familiengrab in Ludwigshafen, wo Kohls 2001 verstorbene Ehefrau Hannelore ihre letzte Ruhe gefunden hat. Dies hat Kohl nach Angaben von Vertrauten zusammen mit seiner zweiten Ehefrau im Sommer 2015 entschieden. Damals war der Altkanzler gesundheitlich schwer angeschlagen.
Beim Staatsakt im Strassburger Europaparlament werden EU-KommissionsPräsident Jean-Claude Juncker, der französische Präsident Emmanuel Macron sowie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und der frühere spanische Ministerpräsident Felipe Gonzales sprechen. Auch die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel ist als Rednerin vorgesehen.
Gemäss einem Bericht des «Spiegels» soll Kohls Witwe Merkel allerdings zunächst vorgeschlagen haben, dass ausschliesslich ausländische Gäste bei der Feier am 1. Juli in Strassburg sprechen sollen. Unter anderem dachte Maike Kohl-Richter an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán anstelle Merkels. Orbán und Kohl waren befreundet. Der Fidesz-Vorsitzende besuchte den gesundheitlich angeschlagenen Altkanzler noch im April 2016 in dessen Heim in Oggersheim. Der ungarische Premier ist einer der schärfsten Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik. Auch Kohl hatte die Kanzlerin in seinem Buch «Aus Sorge um Europa» für ihre Alleingänge in der Flüchtlingskrise gerügt, auch wenn er sie nicht beim Namen nannte.
Eine Trauerfeier für Kohl ohne die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende als Rednerin – das wäre ein Affront und Eklat gewesen. Offenbar musste Kohl-Richter von Vertrauten zur Räson gebracht werden. Merkel darf nun doch in Strassburg sprechen. Allerdings illustriert das unwürdige Intermezzo, wie nachtragend Kohl war: Persönliche Verletzungen vergass er offenbar bis zu seinem letzten Atemzug nicht. Denn es war Merkel gewesen, die den Kanzler der Einheit im Zuge der Parteispenden-Affäre vom Sockel gestossen hatte: Sie hatte die CDU aufgefordert, sich von Kohl zu emanzipieren. Kohl verlor daraufhin den Ehrenvorsitz der CDU.
Zwar kam es Jahre später zu einer Art Versöhnung zwischen der Partei und Kohl. Doch Christian Schwarz-Schilling, einst Minister in Kohls Kabinett, ist überzeugt, dass der Altkanzler Merkel nie verziehen hat. «Ich glaube, dass die Aussöhnung zwischen der CDU und Kohl die kritische Haltung Kohls gegenüber Merkel bis zuletzt nicht überdecken konnte», sagt er gegenüber der «Nordwestschweiz».
Offenbar ist Kohls verletzte Eitelkeit auch der Grund, dass in Deutschland kein Staatsakt geplant ist. «Es war der Wunsch von Helmut Kohl, als deutscher Europäer und europäischer Deutscher seinen letzten Weg auf dieser Erde zu machen. Er wollte einen Abschied, wie er sein Leben gelebt hat: versöhnlich und friedlich. Die Entscheidung für den europäischen Trauerakt ist eine Entscheidung für den Ehrenbürger Europas», zitiert das Boulevard-Blatt «Bild» einen Kohl-Vertrauten. Eine Rolle habe auch gespielt, wie die Nachfolge-Regierung mit ihm als Demokraten umgegangen sei, nachdem er aus allen Ämtern ausgeschieden war, so die «Bild» weiter.
Damit wird deutlich, dass Kohl auch der rot-grünen Nachfolgeregierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) den Umgang mit seinem politischen Erbe nie verziehen hat. Die Schröder-Regierung hatte Kohl unterstellt, er habe 1998, in den letzten Wochen seiner Kanzlerschaft, wichtige Dokumente vernichten lassen. Beweisen lässt sich dieser Vorwurf indes bis heute nicht. Pikant: Der damalige Kanzleramtschef hiess Frank-Walter Steinmeier. Steinmeier ist heute Bundespräsident und als solcher alleine befugt, einen Staatsakt einzuberufen, bei dem er freilich auch das Wort ergreifen würde. Anscheinend wollte Kohl – oder möchte zumindest seine Witwe – eine Würdigung durch jenen Mann, von dem sich Kohl offenkundig ungerecht behandelt fühlte, vermeiden.
Weniger als eine Woche nach dem Tod des Kanzlers der Einheit und durchgehend wohlwollenden Würdigungen besteht nun die Gefahr, dass das Erbe Kohls von Berichten über persönliche Animositäten und angebliche familiäre Schlammschlachten überschattet wird. So sorgte gestern für Schlagzeilen, dass einer von Kohls Söhnen samt seinen Kindern offenbar der Zutritt zum Haus in Oggersheim verweigert wurde. Er wurde polizeilich vom Gelände weggewiesen.
Kohls ehemaliger Minister Schwarz-Schilling bedauert solche Diskussionen. Diese hätten aber nicht das Potenzial, das politische Erbe Kohls zu beschädigen, betont der 86-Jährige gegenüber der «Nordwestschweiz»: «An der Grösse Kohls kann keiner vorbeigehen – weder Deutschland noch Europa.» Kohl habe an seinem Ziel der Wiedervereinigung festgehalten, obwohl er dafür zunehmend belächelt worden sei, und er habe die europäische Integration eisern verfolgt. «Beide Ziele hat er erreicht, weil er Hoffnung und Glauben allen Widrigkeiten zum Trotz nie verloren hat. Kohl muss und wird als grosser Staatsmann verehrt werden.»