Die Bergungsarbeiten der «Ever Given» kommen nur schleppend voran. Die Angst wächst – vor leeren Regalen und Piraten.
Die Bergungsmannschaften am Suezkanal stellen sich auf das schlimmste Szenario ein: Nachdem sie auch am Wochenende nicht viel weiterkamen mit ihrer Arbeit, wird es immer wahrscheinlicher, dass der 400 Meter lange Ozeanriese entladen werden muss, um aus seiner misslichen Querlage befreit werden zu können. Ein 70 Meter hoher Kran soll bei anhaltendem Misserfolg der Schlepp- und Schaufelmethode bis zu 1000 der rund 23000 geladenen Container ans ägyptische Festland hieven.
Grosse Hoffnung setze man vorerst aber auf die in der Vollmondnacht zum Montag einsetzende Springflut, erklärte der Chef der niederländischen Bergungsfirma Boskalis, Peter Berdowski. Das ansteigende Wasser könnte den Bug des festgefahrenen Containerschiffes freispülen. Gelingt dies nicht, kommt der Riesenkran zum Einsatz.
Spezialisten befürchten, dass die Teilentladung des Frachters bis zu drei Wochen dauern könnte. So lange wollen Grossspediteure wie Hapag Lloyd und Maersk aber nicht warten. Bereits am Samstag schickten sie acht ihrer blockierten Containerschiffe auf die mindestens zehntägige Umleitung um das Kap der Guten Hoffnung an Afrikas Südspitze.
Sie dürften nicht die einzigen bleiben. Mehr als 350 Schiffe warteten am Sonntag an den Eingängen des Suezkanals auf das Ende der Blockade, die schon jetzt die Lieferketten europäischer Unternehmen gefährdet.
Betroffen sind vor allem Waren wie Toilettenpapier. Der dafür benötigte Rohstoff kommt fast ausschliesslich aus Südamerika. «Wegen des Mangels an Leercontainern, die sich jetzt am Suezkanal stauen, sind unsere Lieferungen durcheinandergekommen», sagte der CEO des brasilianischen Unternehmens Suzano, Walter Schalka, gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Das WC-Papier ist allerdings nicht das einzige Gut, das knapp werden könnte. «Fast jeder Haushaltsartikel wird von den entstehenden Verzögerungen betroffen sein», befürchtet Lars Jensen vom Beratungsunternehmen «Seaintelligence Consulting». Schon in vier Wochen könnte es die «ersten Sortimentslücken in den Supermärkten» geben, erwartet Willem van der Schalk vom Komitee deutscher Hafenspediteure.
Noch früher könnte die Einfuhr von Kaffee betroffen sein. Die Blockade des Suezkanals wird «auch unsere Kaffeelieferungen verzögern», hatte der Kaffeeimporteur Trabocca am Freitag getwittert. Das Unternehmen kauft fast ausschliesslich in Äthiopien ein, dem fünfgrössten Kaffeeproduzenten der Welt. Der nahe Suezkanal ist für das ostafrikanische Land überlebenswichtig. Mittelfristig betroffen seien aber auch die Kaffeeexporteure Vietnam und Indonesien.
Unter den am Suezkanal festsitzenden Schiffen wächst unterdessen die Angst vor Piraten. Nach amerikanischen Medienberichten hätten zahlreiche Unternehmen die US-Navy um Hilfe gebeten. Die blockierten Containerriesen seien ein leichtes Ziel für von der Sinaihalbinsel kommende Piraten. Allein im letzten Jahr sei die Zahl der Überfälle am Nordende des Roten Meeres um 20 Prozent gestiegen.