Frankreich
Weshalb sich die Franzosen schwertun mit ihren Millionären

Der Exodus Depardieus zeigt, dass sich hohe Steuern rächen können. Frankreich verliert dadurch auch seine kreativsten Köpfe und damit wohl schon bald mehr Steuergelder, als die 75-Prozent-Abgabe für Reiche dem Land einbringen würde.

Stefan Brändle aus Paris
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Weinliebhaber Depardieu wird ein Russe

Weinliebhaber Depardieu wird ein Russe

Keystone

Er habe seit dem Alter von 14 Jahren geschuftet und dem französischen Fiskus seither 145 Millionen Euro abgeliefert, meint Gérard Depardieu zur Begründung seines Steuerexils in Belgien. Jetzt habe er keine Lust mehr, wie im Jahr 2012 geschehen, 85 Prozent seiner Einkünfte zu versteuern.

Diese Zahl ergibt sich aus der Summe diverser Abgaben, denen Grossverdiener in Frankreich unterliegen. Darunter ist die Vermögenssteuer, die Frankreich als eines von wenigen Ländern kennt, und vor allem die berüchtigte 75-Prozent-Steuer, die der sozialistische Präsident im Wahlkampf 2012 für Millionäre angekündigt hatte.

Ausländische Beobachter fassten sich an den Kopf, als die Nationalversammlung diese Superabgabe im Sommer auch wirklich beschloss: 75 Prozent, das sei jenseits von Gut und Böse, das komme ja einer konfiskatorischen Steuer gleich, kommentierten gemässigt linksliberale Zeitungen wie «El País» oder «New York Times». Doch die Franzosen sind anderer Meinung. Der Anti-Reichen-Reflex sitzt in Paris seit der Revolution von 1789 tief; auch von Hollande ist der Spruch überliefert: «Je n’aime pas les riches» – ich mag die Reichen nicht.

Selbst bürgerliche Franzosen sind der Meinung, dass endlich etwas getan werden müsse gegen die Supereinkommen. Schöne Worte genügten nicht mehr, denken sie laut Umfragen: Trotz der Bemühungen vieler Regierungen und Gremien wie G8 und G20 blieben die Boni und die Börsengewinne geradezu unanständig hoch.

Trotzdem kippte der französische Verfassungsrat die neue Hollande-Abgabe Ende Jahr. Sein Argument war die «Egalité», das Gleichheitsgebot: Es könne nicht sein, dass ein Alleinstehender mit einer Million Euro unter die Supersteuer falle, nicht aber ein Ehepaar, das je 950 000 Euro – zusammen also 1,9 Millionen – verdiene.

Hollande verspricht nun, er werde die 75-Prozent-Steuer neu formulieren. Vielleicht wird es aber gar nicht mehr dazu kommen. Der Depardieu-Exodus gibt den Franzosen mehr zu denken, als sie zugeben würden. Immer mehr reiche Mitbürger setzen sich ins Ausland ab. In Néchin, dem belgischen Ort an der nordfranzösischen Grenze, wo Depardieu ein Landhaus erworben hat, wohnen bereits 200 andere Franzosen – die meisten zweifellos aus fiskalischen Gründen. Anfang Januar wurde bekannt, dass 2012 doppelt so viele Franzosen nach Belgien umgezogen waren wie im Jahr zuvor. Ähnlich dürfte es in der Westschweiz sein.

Frankreich verliert dadurch seine kreativsten Köpfe: Wie zahllose Franzosen vor ihnen sind in den letzten Tagen der Technomusiker Jean-Michel Jarre und der innovative Optiker Alain Afflelou nach London umgezogen. Dort empfängt sie Bürgermeister Boris Johnson mit offenen Armen. Im Herbst hatte Belgien schon den reichsten Franzosen Bernard Arnault (Vermögen: 32 Milliarden Euro) aufgenommen. Und jetzt hat auch Wladimir Putin seinem Freund Depardieu die russische Staatsbürgerschaft verliehen.

Die Globalisierung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass international tätige Unternehmer wie Depardieu – er ist auch Winzer, Restaurantbesitzer und Filmproduzent – ohne viel Aufwand ins Ausland umziehen können. Der 64-jährige Schauspieler fühlt sich offenbar dermassen als Weltbürger, dass er wegen des Ärgers mit der Linksregierung in Paris sogar den gutfranzösischen Nationalstolz hintanstellt und seinen Pass abgibt. Andere Franzosen deponieren heute nicht mehr nur ihre Bargeldkoffer in Genf, wie das früher der Fall war, sondern siedeln sich gleich selbst am Lac Léman an.

Die Moral von der Geschichte: Steuergerechtigkeit ist gut – aber wenn ein Land wie Frankreich bereits eine fast schon prohibitive Steuerbelastung hat, kann es sich gar nicht mehr leisten, die Grossverdiener und -vermögen noch stärker zur Kasse zu bitten. Sonst rächt sich der internationale Steuerwettbewerb bitter. Wegen des Auszugs von Depardieu und Co. verliert Hollande wohl schon mehr Steuergelder, als er mit der 75-Prozent-Abgabe – geplant waren 210 Millionen Euro – eingenommen hätte.