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Eine Erkältung, ein Autounfall, Krebs oder gar ein Anschlag von politischen Gegnern? Seit mehreren Tagen brodelt in Peking die Gerüchteküche. Grund: Der künftige Staatspräsident Xi Jinping ist seit zehnt Tagen wie vom Erboden verschluckt.
Dabei war er letzte Woche mit US-Aussenministerin Hillary Clinton verabredet, am Montag mit Singapurs Premier Lee Hsien Loong und Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt. Ihnen allen wurde abgesagt. Prompt sahen amerikanische Medien in der Absage bereits einen Affront gegen ihre Aussenministerin. Clinton war auf Asienreise, um unter anderem im Inselstreit zwischen China und Japan zu vermitteln. China beschuldigt die USA jedoch, sich unnötig einzumischen.
Verletzt bei täglichem Schwumm?
Doch wieso ist Chinas künftiges Staatsoberhaupt nicht mehr zu sehen? Die Nachrichtenagentur Reuters beruft sich auf anonyme Quellen, wonach der Vizepräsident sich bei seiner täglichen Schwimmrunde am Rücken verletzt haben soll. Er sei krank. «Aber es ist kein Problem.»
Auf offizieller Seite äussert sich auf Anfrage der Nordwestschweiz niemand. Bei der wöchentlichen Pressekonferenz des chinesischen Aussenministeriums wollte sich die Sprecherin nicht zu Xi Jinpings Verbleib äussern. Die politischen Gepflogenheiten der regierenden Kommunistischen Partei verbieten es, über den Gesundheitszustand ihrer Machthaber zu spekulieren. Schon in den 1970er-Jahren galt es als Staatsgeheimnis, über Mao Zedongs Gesundheit zu rätseln. An dieser Praxis halten auch die heutigen Machthaber fest. In den zumeist staatlich kontrollierten Medien war nicht eine Zeile über Xi Jinping zu lesen. Umso heftiger tobt die Debatte im Internet. Obwohl auf dem Twitter-Dienst «Sina Weibo» Einträge mit dem Namen «Xi Jinping» in Zusammenhang mit Begriffen wie «Autounfall» und «Rückenleiden» gelöscht sind, spekulieren auch chinesische Blogger eifrig über ihr künftiges Staatsoberhaupt. Sie nutzen die Bezeichnung «Kronprinz».
Angespannte Stimmung in Peking
Dass Chinas künftigem starken Mann etwas zugestossen sein könnte – darüber hat am Wochenende das erste Mal die von oppositionellen Auslandschinesen in den USA betriebene Website «Boxun» spekuliert. «Boxun» ist spätestens seit den Jasminprotesten von 2011 ein Begriff. In Anlehnung an den Arabischen Frühling rief sie zu ähnlichen Demonstrationen in China auf. Die Staatsführung reagierte damals sehr empfindlich und verhaftete vorsorglich mehrere Dutzend potenzielle Dissidenten. Zu den Protesten ist es nie gekommen.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Chinas Spitzenpolitiker über Wochen hinweg nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen. Doch wenige Wochen vor einem Wechsel der kompletten Führungsriege ist die Stimmung in Peking äusserst angespannt und die Parteispitze darum bemüht, Harmonie und Stabilität zu suggerieren. Vor seinem Verschwinden war Xi fast täglich in den Abendnachrichten zu sehen. Mitte Oktober soll der Wechsel besiegelt werden. Xi als Staatschef und Li Keqiang als sein Premier sind gesetzt, nicht aber, wer auf den Plätzen 3 bis 7 im mächtigen Ständigen Ausschuss des Politbüros sitzen wird. Angeblich tobt hinter den Kulissen ein Machtkampf – aber auch das ist derzeit ein Gerücht.