Auslandkorrespondent Ralph Schulze zur politischen Blockade in Katalonien.
Auf Barcelonas berühmter Prachtallee La Rambla schiebt sich wieder ein endloser Touristenstrom an den Strassenkaffees, Shops und Souvenirständen vorbei. Der Alltag ist in die katalanische Hauptstadt zurückgekehrt. Die Zahl der ausländischen Besucher, die auf dem Höhepunkt der Katalonien-Krise im Herbst zurückging, steigt wieder. Auch die Polizeisondereinheiten, die von Madrid in die spanische Krisenregion geschickt worden waren, sind abgezogen. Der Unabhängigkeitskonflikt, der ganz Europa in Atem hielt und unschöne Bilder von Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Separatisten produzierte, hat sich beruhigt. Die Sorgen, dass die Spannungen erneut in Gewalt umschlagen könnten, sind verschwunden.
Zwar ziehen immer noch regelmässig Protestzüge durch die Strassen. Gerade riefen Tausende prospanische Demonstranten in Barcelona: «Schluss mit dem Abspaltungskurs – wir sind Katalanen und wir sind Spanier.» Einige Tage zuvor hatten die Separatisten mobil gemacht und für eine eigene Republik demonstriert. «Unabhängigkeit, sofort!», skandierten sie. Die Stadtbewohner haben sich an diese Kundgebungen gewöhnt, die Stimmung ist friedlich. Dafür wird auf dem politischen Parkett hart gekämpft. Vor allem im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter. Die drei Separatistenparteien gewannen zwar am 21. Dezember mit 47,5 Prozent der Stimmen die Mehrheit der Mandate im Parlament. Aber eine Regierungsbildung scheiterte bisher an der Spaltung in Fundamentalisten und Realisten.
Als eines der Hindernisse für ein Ende der Blockade gilt jener Mann, der Katalonien mit seinem radikalen Sezessionskurs in die Krise steuerte. Carles Puigdemont, der frühere Ministerpräsident, verzichtete zwar inzwischen auf den Anspruch, erneut das Regierungsamt in Katalonien zu übernehmen. Aber Puigdemont, der vor der spanischen Justiz nach Brüssel flüchtete und in seiner Heimat mit Haftbefehl gesucht wird, versucht weiterhin aus der Ferne, die Zügel zu ziehen – was die Regierungsbildung in Barcelona erschwert. So brachte auch Puigdemonts Ersatzvorschlag, seinen Vertrauten Jordi Sànchez zum Ministerpräsidenten zu küren, nur eine weitere Verlängerung des katalanischen Regierungsstillstandes: Sànchez hat ebenfalls Probleme mit der Justiz und sitzt wegen des Vorwurfs, in Barcelona einen öffentlichen Aufruhr angestachelt zu haben, in U-Haft.
Wie könnte es also weitergehen? Vermutlich wird Puigdemontfrüher oder später einen unbelasteten Kandidaten für das Regierungsamt ins Rennen schicken müssen. So wie es die zweitgrösste Unabhängigkeitspartei, Esquerra Republicana (Republikanische Linke), gerne möchte, um endlich aus der Sackgasse zu kommen. Esquerra fordert schon seit Wochen von Puigdemont mehr «Wirklichkeitssinn». Aber es gibt noch ein Problem: Der dritte Partner im Unabhängigkeitsboot, die kleine Antisystempartei CUP, will nur einen Kandidaten akzeptieren, der an der einseitigen Abspaltung festhält. Doch die Fortsetzung dieses Konfrontationskurses wird vom moderaten Teil der Unabhängigkeitsbewegung kritisch gesehen.
Spaniens Zentralregierung hatte Ende Oktober Puigdemonts Separatistenregierungentmachtet. Unter anderem hatte Puigdemont ein illegales Unabhängigkeitsreferendum und eine Abspaltungserklärung durchgesetzt. Bis eine neue Regionalregierung im Amt ist, wird Katalonien von Madrid aus verwaltet – was derzeit ohne grössere Probleme zu funktionieren scheint. Die Zentralregierung kann sich zurücklehnen und abwarten, ob sich die Separatisten zusammenraufen. Sollten sie dies nicht bald schaffen, sind Neuwahlen nicht ausgeschlossen. Dann könnten die Karten neu gemischt werden. Nach der neusten Umfrage des offiziellen katalanischen Statistikamtes CEO wollen nur noch 40,8 Prozent der Katalanen die Abspaltung ihrer Region von Spanien – im Herbst waren es noch 48,7 Prozent.
Ralph Schulze, Madrid