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Nach dem erneuten Wahlsieg Recep Tayyip Erdogans brechen noch einmal düsterere Zeiten für die Opposition an, ist Ezgi Akyol überzeugt. Die Schweizerin mit kurdischen Wurzeln sitzt für die Alternative Liste im Zürcher Gemeinderat und war als Wahlbeobachterin in der Türkei unterwegs.
Ezgi Akyol: Die unglaublich hohe Militärpräsenz war erschreckend. Leider ist das im Südosten mittlerweile Alltag. Die Wahllokale waren ja in den Schulen untergebracht, auf jedem Schulhof hatte es mindestens ein gepanzertes Fahrzeug. Wir haben gehört, dass vereinzelt auch Uniformierte in den Wahllokalen selber drin waren.
Ja. viele Leute haben auch gesagt, dass sie eingeschüchtert waren von der hohen Militärpräsenz. Kommt hinzu, dass gerade in den Kurdengebieten Bürger zum Teil 25 Kilometer laufen mussten, um ihre Stimme abzugeben. Für diese Leute war der Gang an die Urne schon eine Art Widerstand.
Das ist ein Hohn. Nur schon die Tatsache, dass die Wahlen während des Ausnahmezustands stattfanden, zeigt die ungenügende demokratische Grundlage dieser Wahl. Sie war ganz klar nicht fair und frei.
Nein, unsere Gruppe wurde in kein einziges Wahllokal gelassen. Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir nicht zum OSZE-Wahlbeobachtungsteam gehören, darum haben sie uns nicht reingelassen. Eine andere Gruppe hatte mehr Glück. Dass wir nicht reingelassen wurden, war zwar kein Verstoss, aber eine klare Einschüchterung. Wir haben zudem von etlichen Unregelmässigkeiten in anderen Gebieten gehört.
Die AKP nahm eine unglaublich dominante Stellung ein in diesem Wahlkampf. Im Fernsehen, in den Zeitungen, auf Plakaten: Erdogan war praktisch überall zu sehen. Im Gegensatz dazu war der Wahlkampf der linken HDP de facto nicht vorhanden. Parteimitglieder und Wahlkämpfer wurden willkürlich verhaftet, Veranstaltungen der HDP durch Polizisten oder AKP-Anhänger aufgelöst oder gestört. Der Spitzenkandidat der HDP, Selahattin Demirtas, führte einen Wahlkampf vom Gefängnis aus. In den Medien war die Partei praktisch inexistent, fast nur auf Social Media konnte die HDP Wahlkampf betreiben.
Dass die grösste Oppositionspartei CHP, die ja das erste Mal seit Langem wieder einen grossen und motivierten Wahlkampf geführt hat, auf Anhieb 30 Prozent macht, ist eine Überraschung. Ich glaube deshalb nicht, dass der Widerstand versandet war. Im Gegenteil. Aus strategischer Sicht war es natürlich ein grosser Fehler, die HDP aus dem Bündnis der Oppositionsparteien auszuschliessen. Wenn man glaubhaft Oppositionspolitik betreiben will, muss man die HDP zwingend miteinbeziehen und eine gemeinsame Front bilden.
Die Kurdenfrage ist entscheidend, das ist historisch bedingt. Die kemalistische CHP führte, als sie selber an der Macht war, eine äusserst harte Politik gegenüber den Kurden. Diese Wunden sind noch nicht verheilt. Und die CHP-Wähler befürworten in der Kurdenfrage immer noch eine Politik der harten Hand.
Das sieht man hier anders. Erdogan hielt gestern eine Rede, in der er ein noch härteres Vorgehen im Kampf gegen den Terror ankündigte. Die Menschen hier befürchten noch stärkere Rerpressionen, gerade im Südosten. Und den Ausnahmezustand kann Erdogan problemlos aufheben – jetzt, wo er ihn dank des Wechsels zum Präsidialsystem praktisch legalisiert hat.
Ja, ich befürchte, dass die Politik der Regierung in Zukunft noch nationalistischer und repressiver wird. Die MHP wird Erdogans AKP von rechtsaussen unter Druck setzen. Das ist kein gutes Zeichen, weder für die Kurden noch für die gemässigten, progressiven Schichten. Das Land ist offensichtlich gespalten, man kann aber nicht wegreden, dass es eine grosse Gruppe von Bürgern gibt, die mit der Politik der Regierung Erdogan zufrieden ist.
Sie lassen sich ziemlich deutlich geografisch festmachen. Die AKP war vor allem im Zentrum des Landes erfolgreich, die CHP war im Westen des Landes sowie in den grossen Städten Istanbul und Ankara sehr stark, während im Südosten die kurdische HDP dominierte.
Ich würde mir wünschen, dass sich die westlichen Staats- und Regierungschefs in einem klareren, unmissverständlicheren Ton gegenüber Erdogan äussern, dass sich Europa klarer positioniert etwa in der Kurdenfrage. Aber ich fürchte, dass sich Europa mit Kritik weiter zurückhält.
Aufgrund des sogenannten Flüchtlingsdeals mit der Türkei, weil das Land Nato-Mitglied ist und weil die wirtschaftlichen Interessen der europäischen Staaten überwiegen.
Man hörte es in den letzten Tagen ein paar Mal: Das Einzige, was die AKP jetzt noch stürzen könnte, ist die Wirtschaft. Die Preise für Grundnahrungsmittel, Kartoffeln und Zwiebeln sind extrem gestiegen, auch der Benzinpreis ist in die Höhe geschossen, das spürt die Bevölkerung. Wir hofften, dass sich die wirtschaftliche Baisse in den Wahlen widerspiegelte, aber es hat die Leute offenbar eher dazu bewogen, beim Bisherigen und Bewährten zu bleiben. Man traute Erdogan nun einmal mehr Stabilität zu als den Herausforderern.
Ich glaube nicht, dass das abnehmen wird. Die Verfolgung von Gülen-Anhängern und politisch Andersdenkenden im Ausland, die Förderung nationalistischer und konservativ-islamischer Ideologien – das dürfte sogar noch stärker werden. Die Wahlkampfveranstaltungen werden natürlich nicht mehr stattfinden.