Aufführung im Kleintheater Luzern zeigt: Am gefährlichsten sind gute Karten

Schräg und verspielt: So ist die aktuelle Produktion «All In» im Kleintheater Luzern. Sie kombiniert gespielte Geschichten mit einer Live-Pokerpartie.

Arno Renggli
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Schauspiel und Pokerspiel (links im Hintergrund) zugleich: Das ist «All in», die aktuelle Produktion im Kleintheater.

Schauspiel und Pokerspiel (links im Hintergrund) zugleich: Das ist «All in», die aktuelle Produktion im Kleintheater.

Bild: PD/Ingo Höhn

Manchmal spielt man gut und verliert trotzdem. Gerade gute Karten führen zu den brutalsten Niederlagen. Denn beim Pokern gewinnen nicht gute Karten, sondern die besten. Sofern man sich nicht rausbluffen lässt. Aber wie weiss ich, welche Karten ein Gegenspieler hat? Wie weiss ich, was er vermutet, was ich habe? Und was er vermutet, was ich vermute, was er hat?

Wie beim Pokern oder simplen «Schere, Stein, Papier» muss man auch im realen Leben Risiken abschätzen und eingehen. Wobei das Stück «All in» von Manuel Kühne & Co., das am Dienstag im Kleintheater in Luzern Premiere feierte, Analogien zwischen Spiel und Realität nicht übertreibt. Real ist vielmehr das Pokerspiel selber, das hinten auf der Bühne abläuft und dessen Verlauf man auf einem Bildschirm genauer verfolgen kann. Es sind Pokerkumpels von Regisseur Manuel Kühne und einige wagemutige Zuschauer.

«Die Autopsie am lebenden Mensch»

Derweil tragen die Schauspieler Suramira Vos, Florian Steiner und Christoph Künzler Monologe (Christoph Fellmann) vor, moderiert von Manuel Kühne. Darin erzählen sie Geschichten, die nicht immer direkt mit Poker zu tun haben, etwa über die rare Spezies des Pfeifhasen, die es übrigens tatsächlich gibt. Aber meistens schon mit Poker. So erzählt der kalte Profi, wie er jeden Gegner am Tisch zunächst analysiert. Eine «Autopsie am lebenden Menschen» – um ihn dann, wenn sein Spielverhalten durchschaubar ist, zu zerstören.

Denn darum gehts – bei aller Faszination – beim Poker, wenn er richtig gespielt wird: «Geld, Spass, Emotion, Macht, Zerstörung», wie es am Anfang des Stücks als Flüsterschlaufe erklingt. Die Verlierer braucht es, damit es Gewinner gibt – das klassische Nullsummspiel. Doch Gewinnen ist nicht von Dauer: Selbst der sich unbesiegbar wähnende Analytiker scheitert gegen alle Wahrscheinlichkeit in einer existenziellen Partie: Mit guten Karten verliert man am brutalsten. Die Gier wird zu Hochmut und zur surrealen Blase, wo «Geld erfunden» wird; die Börse mit ihren absurden Spekulationsprodukten lässt grüssen. Und in der Story eines ewigen Pokerspiels, das sogar die Kinder und Kindeskinder mit immer absurderen Einsätzen weiterspielen, spiegelt sich vielleicht der Fortschrittswahn.

Der Spieler (Florian Steiner) verfängt sich im Wahn der eigenen Unbesiegbarkeit. Während im Hintergrund eine echte Pokerrunde läuft, die man auch mittels Projektion verfolgen kann.

Der Spieler (Florian Steiner) verfängt sich im Wahn der eigenen Unbesiegbarkeit. Während im Hintergrund eine echte Pokerrunde läuft, die man auch mittels Projektion verfolgen kann.

Bild: PD/Ingo Höhn

Auch Zuschauer müssen sich entscheiden

Doch moralinsauer ist die Produktion nicht, vielmehr schräg und verspielt, inklusive Zuschauern, die immer wieder selber Chips setzen dürfen. Die Anlage ist originell, experimentell und wie Poker selber durchaus riskant; etwa indem sie auf den dramaturgischen Sog verzichtet und sich einer gewissen Zerbrechlichkeit aussetzt. Und verfolgt der Zuschauende das Spiel, inklusive Kommentar über Kopfhörer, kriegt er von den Storys nicht alles mit. Aber da muss man – wie beim Pokern – eben ständig Entscheidungen treffen.

Hinweis: «All in», Vorstellungen am Donnerstag, 05.03. und Freitag, 06.03.2020. www.kleintheater.ch.