Ja, was ist er nun? Jazzer oder Popstar? Der englische Sänger Jamie Cullum gab gestern Abend darauf keine klare Antwort. Zum Glück.
Arno Renggli
Okay, dass er gleich am Anfang eine siebenköpfige Brass-Section aufmarschieren lässt, zeigt die Grundrichtung des Abends schon mal an. Wobei diese Bläser zuerst mal mit Chorgesang aufwarten, während Jamie Cullum singend seine Trommel bearbeitet.
Doch dann kommen sie auch schon, die fetten Bläsersätze, geben akkordisch wie rhythmisch den jazzigen Tarif durch und setzen den ganzen Abend eher selten aus. Sehr zur Freude des Publikums, das auch ausgiebige Bläsersoli bestens goutiert. Und Jamie Cullum? Als er sich seines coolen Jackets entledigt hat und im T-Shirt mit seinen 1.64 Metern wie ein Bonsai-Rockstar aussieht, gibt er erst recht den Jazzer. Mit toller Stimme, welche die lässige Leichtigkeit eines Michael Bublé kombiniert mit einem Gehalt, der an Billy Joel erinnert. Am Flügel brilliert er ebenso, man hört auch hier, dass er vom Jazz herkommt.
Wer dieser Jamie Cullum ist? Bei Otto Normalverbraucher ist die Chance gross, dass er Cullum beim zweiten «Bridget Jones»-Kinofilm (2004) erstmals hörte, wo dieser zum Soundtrack eine Version des Klassiker «Everlasting Love» beisteuerte. Da kannte noch kaum jemand diesen Sänger beim Namen. Doch der Song selber kickt gewaltig, mit unterkühlter Spannung in der Strophe und einem tierisch abgehenden Refrain.
Überhaupt standen am Anfang von Cullums Karriere vor allem auch Coverversionen von Songs im Vordergrund, denen er mit einer Mischung von Jazz und Pop ein eigenes Gepräge verlieh. Auch dem Kino blieb er treu: Kein geringerer Regisseur als Clint Eastwood engagierte ihn für die Titelmelodie des bärenstarken Films «Gran Torino», was Cullum eine Golden-Globe-Nominierung eintrug.
Doch zurück zu gestern Abend. Und zurück zum tierischen Abgehen. Er mag ja ein Jazzer sein, und seine Musik ab und an ein wenig kopflastig. Aber Show und energetischer Habitus sind die eines Popstars. So klettert Cullum auch gerne mal auf den Flügel, um nach dem Refrain runterzuspringen und auf der Bühne «umherzuderwischen». Also wie ein Derwisch, nicht wie ein Wischer. Humor hat er auch, seine Sprüche kommen an, etwa die selbstironischen über seine Grösse und sein fast kindliches Aussehen. Den Ausweis müsse er beim Weinkaufen immer noch zeigen, sogar wenn er Frau und Kinder dabei habe.
Dann gehts wieder zum Flügel, den er nicht nur besteigt, sondern dem er mittels Hantieren an den Saiten und Hölzern die seltsamsten Klänge entlockt. Und als man denkt, der ganze Sound ist zwar heiss, aber emotional etwas gar cool, legt er die eine oder andere Ballade nach. Etwa eine von Randy Newman, eine «kugelsichere», wie er sagt und meint damit, der Song sei so gut, da komme es nicht auf den Gesang an. Was natürlich nicht stimmt.
Taucht der Popstar auch noch musikalisch auf? Ja, sicher. Plötzlich kommen da Nummern in bester Britpopmanier, die Bläser ersetzen die fehlenden Gitarrenwände problemlos. Und Cullum kann auch das, seine Stimme ist polyvalent, er braucht sich nicht festzulegen. Am Ende mündet die Publikumsbegeisterung in eine Dauerparty, stehend und stampfend. «Can I come back again?», fragt er am Ende rhetorisch schüchtern. Die Antwort ergibt sich von selber.