Mit einer bis auf wenige Schönheitsfehler eindrucksvollen Inszenierung von Bizets «Carmen» sind am Mittwoch die Bregenzer Festspiele eröffnet worden.
Rolf App
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Die Bundespräsidentin kann auch nichts machen. Während Doris Leuthard unten auf der Bregenzer Seebühne steht und in die Kameras lächelt, neben ihr der österreichische Kollege Alexander Van der Bellen, legt der Regen noch ein wenig zu. Und so verbringen wir denn mehr als die Hälfte dieser Festspiel-Premiere von Georges Bizets «Carmen» gut eingepackt in knisternde Pelerinen.
Manch feine Facette der Musik geht dabei verloren, was aber halt der Preis ist für eine imposante Naturkulisse. Zur Geltung kommt das Optische: der Bogen, den Kasper Holten mit seiner Regie, Es Devlin mit ihrer Bühne, über der scheinbar schwerelos Spielkarten fliegen, Anja Vang Kragh mit farbenreichen Kostümen und Signe Fabricius mit einer abwechslungsreichen Choreografie schlagen. Natürlich empfindet man auch Mitleid mit den dem Regen ausgesetzten Sängern, vor allem mit Gaëlle Arquez als Carmen. Auf ihrer eindrucksvollen Präsenz ruht das Spiel, in das Holten immer wieder auch den See einbaut. Etwa wenn auf der untersten, ins Nass reichenden Ebene Wasserballett getanzt wird, wenn Carmen mit kühnem Sprung in den See flüchtet – oder wenn sie dort ihr Ende findet. Und natürlich wickelt sich auch der rege Schmugglerverkehr per Boot ab.
Wobei Kasper Holten gerade in der Schmugglerszene des dritten Akts des Guten ein wenig zu viel tut und mit allerlei Aktionen den Blick aufs Drama mehr verstellt als erhellt. Denn die Geschichte, die er erzählen will, verlangt nach Intimität. Sie handelt von einer Frau, die Freiheit und Liebe will, und die, als Zigeunerin, Aussenseiterin ist und bleibt. Und von einem Mann, der zum Aussenseiter wird. Wie Holten den Zwiespalt zeichnet, in dem Don José steckt, zwischen Carmen und Micaëla, zwischen Pflichtgefühl und Leidenschaft, das ist über weite Strecken überzeugend. Und zwar auch dank der Darsteller. Daniel Johanssons Don José steigert sich im Verlauf des Abends immer mehr, Elena Tsallagovas Micaëla gewinnt mit ihrer warmen Stimme von Anfang an das Herz.
Während Holten in pädagogischer Absicht da und dort zu viele Signale setzt, verfällt die Bühnenbildnerin Es Devlin in diesen Fehler nicht. Obwohl sie mit der Projektionsfläche der Karten die üppigsten Möglichkeiten hätte. Lange bleiben sie leer, dann werden sie zu Stimmungsbarometern, leuchten mal hoffnungsvoll hell, mal düster schwarz. An entscheidenden Stellen sehen wir darauf die Gesichter von Carmen und Don José – und fühlen uns plötzlich nicht mehr fern auf der Tribüne, sondern diesen Menschen und ihrem Schicksal ganz nah. Der Wermutstropfen heisst Escamillo. Dass Scott Hendersons stimmlich etwas gar zu sehr auftrumpfender Torero so sehr zum – Pardon – narzisstischen Kotzbrocken gemacht wird, mag lustig wirken, wirft aber Fragen auf.
Als der Regen aufhört und die Kapuze heruntergeklappt werden kann, geniessen wir dann auch das kraftvolle, vorwärts drängende, aber auch in zarten Pastelltönen schillernde Spiel der von Paolo Carignani geleiteten Wiener Symphoniker.