BUCH: Gegen den Populismus: Es kommt, wie es kommt

Gegen den Populismus und den Zwang der Selbstoptimierung hat der deutsche Journalist Matthias Drobinski ein Gegenmittel entdeckt. «Gebt dem Fatalismus eine Chance!», empfiehlt er. Und meint es ernst.

Julia Stephan
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Wer auf dem Lebensweg an Hochs und Tiefs gelassen vorbeigeht, hats leichter im Leben. (Bild: Grafik: Selina Buess)

Wer auf dem Lebensweg an Hochs und Tiefs gelassen vorbeigeht, hats leichter im Leben. (Bild: Grafik: Selina Buess)

Julia Stephan

Manche Senioren reagieren auf das schrittweise Versagen ihres Körpers mit einer bewundernswerten Gelassenheit. Auf einem Ohr taub, auf zwei Augen blind, kontern sie besorgte Nachfragen mit einem knappen «Es kommt, wie es kommt» – und sehen dabei auch noch beneidenswert zufrieden aus.

Es ist diese gelassene Einstellung, die der deutsche Journalist Matthias Drobinski, Meinungsredaktor bei der «Süddeutschen Zeitung», so vermisst und seinen Lesern im Essay «Lob des Fatalismus» so eindringlich ans Herz legt. Drobinski ist kein Ratgeberautor. Er ist Theologe, Historiker und Germanist. Er weiss also, wie verräterisch-verführerisch und irgendwie platt ein Satz klingt wie der, demzufolge man «das Leben» einfach mal «auf sich zukommen» lassen und sich von «Allmachts-, Kontroll- und Wahrsagefantasien» befreien solle.

Rezeptur gegen lähmende Selbstverantwortung

Trotzdem hat Drobinski in seinem Essay genau diesen Satz geschrieben. Weil der Mensch des 21. Jahrhunderts, der schon wegen des Kaufs einer falschen Nes­presso-Kapsel einen Heulkrampf riskiert, von seiner lähmenden Selbstverantwortung dringend entlastet werden müsste. Und das gehe, so Drobinski, am besten mit einem partiellen Fatalismus.

Damit meint der Autor nicht das, was der deutsche Rettungssanitäter Stefan Bauer vor einigen Jahren in Saudi-Arabien erlebte, als er schwerverletzte Frauen ihrem Schicksal überliess, weil deren männliche Angehörige den göttlichen Willen höher gewichteten als das Ehrgefühl ihrer Gattinnen und Töchter. Ebenso wenig meint Drobinski die Schicksalsergebenheit einer indoktrinierten Volksmasse oder die Schaffung einer Legitimationsgrundlage für Faulheit und Resignation.

Ohne Gestaltungswille kein Fortschritt

Der Autor ist nicht naiv. Dass ohne den Kick der Glückssuche und den Glauben an die Gestaltbarkeit des Lebens der Mensch noch in seiner Höhle hausen würde, ist ihm bewusst. Aber er fragt auch: Muss man ständig alle Stellschrauben verstellen? Im 17. Jahrhundert erstmals begrifflich verwendet, war der Fatalismus schon viel früher ein berühmter Zankapfel von Philosophie und Religion. Von den griechischen Stoikern, die glaubten, dass der Kosmos unabänderlich sei, der kleine Mensch aber das Seinige dazutun könne, «um ein gutes Leben zu führen», über das Christentum, das den Fatalismus auch deshalb ablehnte, weil der Ablasshandel ohne die Existenz der Sünde kein lukratives Geschäft mehr hergab. Denn wo kein freier Wille, da ist auch keine Schuld.

Der von Drobinski propagierte Fatalismus orientiert sich an dem berühmten Gelassenheitsgebet des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr (1892–1971): «Gott gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» Ein so verstandener Fatalismus macht nicht hilflos. Zu ihm gehört die Überzeugung, so Drobinski, «dass es immer mehr Möglichkeiten» gebe, als der Einzelne «denken könne».

Ein solcher Fatalismus ist subversiv, ideologiefeindlich und oppositionell und damit ein gutes Mittel gegen totalitäre Systeme und populistische Heilsversprechen, die sich aus der Angst vor dem Kontrollverlust nähren, der paradoxerweise gerade weite Kreise der hochentwickelten Industrienationen erfasst. Er ermutigt, zwecklose Dinge zu tun. Er hält davon ab, ins Jammern abzugleiten. Er gibt einem Kraft beim Aushalten von Unsicherheiten und macht unangreifbar, gerade, weil er den Einflussbereich des Menschen nicht als zu gross bemisst, so Drobinski.

Von der Angst zur Last zu fallen

Letzteres befreit auch vom ständigen Zwang der Lebensoptimierung. Dass der menschenfeindlich werden kann, zeigte kürzlich der Bremer Tatort «Im toten Winkel». Dort nahmen sich zwei alte Menschen das Leben. Es war ihnen unangenehm, finanziell und körperlich nicht mehr für sich selbst sorgen zu können und Angehörigen zur Last zu fallen.

Hinweis

Matthias Drobinski: Lob des Fatalismus. Claudius, 132 S., Fr. 21.90

Es kommt, wie es kommt: von Senioren eine gelassene Einstellung lernen. (Bild: Kathy Quirk-Syvertsen/Getty)

Es kommt, wie es kommt: von Senioren eine gelassene Einstellung lernen. (Bild: Kathy Quirk-Syvertsen/Getty)