86-jährig ist er und längst eine Legende: Am Filmfestival kündigte Clint Eastwood an, bald selber wieder vor die Kamera zu treten. Und wurde anschliessend von Fans fast erdrückt.
Christian Jungen, Cannes
Es herrscht kein Mangel an Stars am 70. Festival von Cannes: Arnold Schwarzenegger, Nicole Kidman, Adam Sandler, Marion Cotillard und Isabelle Huppert waren bereits hier und posierten für die Fotografen. Doch keiner löste heftigere Begeisterungsstürme aus als Clint Eastwood. Er stellte eine restaurierte Kopie seines Western «Unforgiven» vor und gab eine Masterclass.
Wer sich nicht mindestens 90 Minuten vorher in die Schlange stellte, hatte keine Chance, in die 60-minütige Veranstaltung hineinzukommen. Die vorderen Plätze waren besetzt vom Establishment aus Hollywood und Paris. In der ersten Reihe sassen etwa Kevin Tsujihara, Studioboss von Warner Bros., dem Eastwood mit «American Sniper» und «Sully» fette Gewinne beschert hatte, und Pierre Rissient. Der Franzose hat in den 70er-Jahren mit seiner PR geholfen, den als reaktionären Haudegen aus B-Movie verkannten Eastwood als Autorenfilmer salonfähig zu machen.
Eastwood erzählte, dass er 1971 Mühe bekundete, einen Produzenten für «Dirty Harry» zu finden: «Viele Leute dachten, die Geschichte sei politisch unkorrekt. Es war der Beginn des Zeitalters, in dem wir heute leben. Die politische Korrektheit bringt uns noch um, wir haben unseren Sinn für Humor verloren.»
Clint Eastwood hat dann das Drehbuch Regisseur Don Siegel gezeigt, der den Cop-Thriller mit ihm in der Titelrolle verfilmte. Siegel sei neben Sergio Leone sein zweites Vorbild gewesen. Von ihm habe er gelernt, jede Szene möglichst nur einmal zu drehen. «Mit der Zeit verlieren die Schauspieler ihren authentischen Ausdruck», sagte Eastwood, der sich als bodenständiger Macher präsentierte. «Film ist ohnehin eine emotionale Kunstform, keine intellektuelle.»
Woher rührt sein Pragmatismus? Eastwood erzählte, dass er aus einer armen Familie stamme, die während der «Great Depression» alle sechs Monate umziehen musste, wenn sein Vater wieder die Stelle verlor. Er habe schon als Kind gelernt, dass es wichtig sei, hart zu arbeiten.
Er kündigte an, seinen nächsten Film in Frankreich zu drehen. Dieser erzähle die wahre Story der drei Amerikaner, die 2015 in einem Zug von Brüssel nach Paris einen bewaffneten IS-Terroristen überwältigten, der einen Anschlag geplant hatte. Dann sagte Eastwood, was die Fans hören wollten: Er vermisse das Schauspielern und werde bald wieder selber vor der Kamera stehen.
Nach der Masterclass stürmten Fans mit Journalisten-Akkreditierung um den Hals an den Bodyguards vorbei die Bühne und begannen Selfies mit der Ikone zu machen. Eastwoods Gesicht verriet für einige Sekunden ein Gefühl, das man von ihm in Filmen nicht kennt: Angst.
Für Aufmerksamkeit sorgte in Cannes auch die Premiere des Films «Le redoutable». Michel Hazanavicius («The Artist») erzählt in dem biografischen Drama, wie Jean-Luc Godard um 1968 von einem populären Cineasten zu einem revolutionären Experimentalfilmer wurde. Zunächst fokussiert er auf Godards Beziehung zu seiner zweiten Ehefrau Anne Wiazemsky (Stacy Martin). Die beiden führen ein frivoles Leben als Bohemiens und gingen im Mai 68 in Paris auf die Strasse, um den Rücktritt von General De Gaulle zu fordern.
Godard warf sogar Steine gegen die Ordnungshüter, entfremdete sich aber zusehends von seinen Weggefährten: An der Sorbonne wurde er ausgepfiffen, als er in Anwesenheit von Daniel Cohn-Bendit die «Juden als die neuen Nazis» bezeichnete. Und in Rom überwarf er sich mit seinem Freund Bernardo Bertolucci. Godard war der Meinung, man müsse nicht nur revolutionäre Filme machen, sondern die Filme auf revolutionäre Weise drehen. Er gründete ein Kollektiv, das jeden Morgen basisdemokratisch den Drehtag festlegte.
«Le redoutable» ist amüsantes Postkartenkino, das viele Facetten von Godards Persönlichkeit zeigt – sein Antisemitismus, seine Selbstverliebtheit – aber nichts vertieft und letztlich keinen Erkenntnisgewinn beschert. Von Rolle (VD) am Genfersee aus, wo er lebt, liess der Cineast schon im Vorfeld ausrichten, was er von Hazanavicius’ Film hält: «eine dumme Idee».