Mit dem Barockorchester Capriccio und vier Vokalsolisten führte der Chor Audite nova eines der bedeutendsten Kirchenmusikwerke auf. Eine eindrückliche Gesamtleistung.
Zweimal erlebte ein überaus zahlreiches Publikum in der Pfarrkirche St. Jakob in Cham die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Die Aufführung am Sonntag zeugte von langer und intensiver Vorbereitung, und sie brachte das monumentale Werk in abgerundeter und stilgerechter Interpretation.
Die h-Moll-Messe ist nicht ein begnadeter einmaliger Geniestreich. Wie man auch bei der Einführung im Pfarreiheim durch Gabriela Kägi vernehmen konnte, komponierte Bach die Sätze Kyrie und Gloria 1733 als Gelegenheitsarbeit, während die übrigen Teile erst in seinen letzten Lebensjahren ihre endgültige Gestalt erhielten – teilweise zusammengesetzt aus Vorlagen, welche bis ins Jahr 1714 zurückreichen. Nur dem Genie des grössten Barockmeisters ist zu verdanken, dass aus einer derart zusammengestückelten Vorlage eines der bedeutendsten Werke der ganzen Kirchenmusikgeschichte entstanden ist.
Das Werk ist lebendig, das bewies als eigentlicher Hauptträger der ganzen Aufführung der Chor Audite nova. Die gut achtzig Mitwirkenden hatten sich über Monate intensiv mit dem sowohl musikalisch wie stimmlich anspruchsvollen, umfangreichen Notentext auseinandergesetzt.
Trotz nicht idealem zahlenmässigem Stimmenverhältnis hatte es Johannes Meister, musikalischer Leiter, verstanden, mit den vielen Leuten einen homogenen und lebendigen Chorklang zu schaffen. Die sehr gute Beherrschung des Notentextes und ein fast immer intonationssicherer und präziser Gesamtklang ermöglichten es dem Publikum, sich voll auf den eigentlichen musikalischen Gehalt zu konzentrieren.
Vorgegeben war die Grösse des Chores, viel zahlreicher, als er Bach zu Lebzeiten je zur Verfügung stand. Im instrumentalen Bereich hielt sich aber Johannes Meister mit dem Barockorchester Capriccio voll an die vermutete damalige Aufführungspraxis. Die etwas über 20 Mitwirkenden spielten durchwegs in historischer Technik mit den entsprechenden Instrumenten. Überraschend viel Klangvolumen entwickelten die eng mensurierten Barocktrompeten, und selbst das lange, für das Naturhorn als fast unspielbar bezeichnete Solo in der ersten Bassarie gelang klar und sauber.
Insgesamt entschied sich der Dirigent für eher flüssige Tempi in konstantem Metrum. Dieses wurde auch bei Abschlüssen und Übergängen zu direkt angehängten neuen Teilen kaum verzögert, was beim Chor und vereinzelt auch beim Orchester Unsicherheiten hervorrief. Eindeutig zu rasch begann «Cum sancto spiritu» am Schluss des Gloria. Dies zwang zu einer nachträglichen Verlangsamung, und prompt fiel dem vorübergehend ungenauen Zusammenklang auch ein Sopraneinsatz zum Opfer.
Johannes Meister hatte eine glückliche Hand bei der Wahl der Solisten. Zwei Glanzpunkte bildeten den Abschluss ihrer Einsätze: Höhensicher, makellos klar und doch nicht grell gestaltete der Tenor Jakob Pilgram das Benedictus, und die in allen Lagen volle und angenehm timbrierte Altstimme von Ingrid Alexandre führte mit dem Agnus Dei in den Schlusschor. Der eher baritonal gefärbte Bass von Markus Volpert fand seine besten Momente beim beglückenden Zusammenklang mit den beiden Solo-Oboen im «Et in Spiritum». In allen drei Duetten überzeugte die Sopranistin Nuria Rial neben brillanten Spitzentönen auch durch einen sicheren Zusammenklang mit Alt und Tenor.
Der Beifall des Publikums galt in gleicher Weise dem gewaltigen Werk von Johann Sebastian Bach wie der nie nachlassenden Konzentration, besonders des Chores, welcher zwei Stunden ununterbrochen zu stehen hatte.
Jürg Röthlisberger