Die ersten Debüts in der Lukaskirche wurden durch zwei junge Persönlichkeiten mit ihrem reifen Musizieren zum Erlebnis. Und die dreizehnjährige Alma Deutscher verblüffte das Publikum.
Wie wichtig ist Lebenserfahrung für das Spiel eines Musikers oder für eine Komposition? Wie kann man Gefühle ausdrücken, die man selbst noch nie erlebt hat?
Diesen Fragen konnte man in den ersten Debüts nachspüren. Denn neben den schon seit Jahren stattfindenden Debüts am Lucerne Festival gibt es dieses Jahr zusätzlich drei «Wunderkind»-Debüts. Das Thema Kindheit tragen nicht nur diese «Wunderkinder» in ihre Konzerte, sondern letztlich jeder Künstler. Man spürt das in den Debüts der jungen Musiker zwischen 20 und 30 Jahren besonders deutlich. Sie haben schon als Kinder ihr Instrument gelernt, in ihren Familien viel Musik gehört, und stellen sich nun als reife Musiker vor.
Am Donnerstag schien der Geiger Ruy Goto (30) mit seinem charismatisch lebhaften Spiel die Zuhörer in ihre eigene Kindheit zu entführen. Das konnte man in den entspannten, lächelnden Gesichtern in der ausverkauften Lukaskirche sehen. Die Klarinettistin Anna Hashimoto (29) sprach am Dienstag ausführlich über die ausgewählten Kompositionen, darunter ein Lieblingsstück aus ihrer Kindheit, das sie mit Hingabe interpretierte. Und gestern im ersten «Wunderkind»-Debüt zeigte die dreizehnjährige Alma Deutscher ihr vielseitiges Talent.
Bei Ruy Goto vereinen sich die Erfahrungen aus seinem abgeschlossenen Physikstudium und seiner Konzerttätigkeit von Kind an zu tiefem Ausdruck, grosser Klangvielfalt und atemberaubender Mühelosigkeit. Er spielt unmittelbar für das Publikum, dem er in die Augen sieht, dem er jede Wendung direkt nahebringt und so eine einzigartige Verbundenheit herstellt. Man lauscht ihm gebannt, die Violinsonate d-Moll von Robert Schumann wird zur Klangreise durch tief empfundene Gefühle. Goto lässt in Debussys Violinsonate g-Moll die Töne leuchten, um dann wieder in fahle Durchsichtigkeit zu wechseln. Farbenreichtum und Ausdruckskraft sind auch in Henri Wieniawskis «Thème original varié» schier unerschöpflich, und das Publikum ist zu Recht begeistert.
Mit kraftvoll zupackenden Tönen eröffnet Anna Hashimoto ihr Debüt mit dem Duo für Klarinette und Klavier von Norbert Burgmüller (1810–1836). Lebhaft mündet das Allegro in ein schmelzendes Legato. Vier Charakterstücke von William Hurlstone führen aus romantischer Melodik zu humorvollen Einfällen und Virtuosität.
Dann versenken sich Hashimoto und Pianist Florian Mitrea (29) in die Klangwelt von Brahms. Die sanften Töne überzeugen, in den heftigen Passagen dominiert das Klavier etwas stark. Die acht Miniaturen von Sigismund Toduță passen mit «Wiegenlied» und «Kinderspiel» perfekt zum Thema Kindheit. Und das Lieblingsstück aus Hashimotos Kindheit, «Le Tombeau de Ravel» von Arthur Benjamin (1893–1960) mit den an Ravels Valses erinnernden Facetten wird zum Höhepunkt, dem sich Debussys «Première Rhapsodie» nahtlos anfügt.
Dann gestern Alma Deutscher, die nicht Wunderkind sein will, sondern Violinistin, Pianistin und Komponistin. Was ihr an Erfahrung fehlt, das erlebt sie in ihrer reichen Fantasie und in Träumen, und wie selbstbewusst sie die zahlreichen Zuhörer in ihre Kompositionen einführt, das ist beachtlich. Ihr Geigenton ist sauber und ansprechend, ihr Klavierspiel klar und strukturiert, es ist «schöne Musik», die den Menschen gefallen soll.
Nur vom Klavier begleitet spielt sie aus ihrem Violinkonzert, «es macht ohne Orchester eigentlich keinen Sinn», sagt sie dazu; aus ihren zwei Trios spielt sie zusammen mit Isabel Charisius (Viola) und Ivo Haag (Klavier) melodische Sätze, Bach (an der Violine) und Scarlatti (am Klavier) interpretiert sie leicht und eigenwillig. Lieder aus ihrer Oper, die sie am liebsten ganz erzählt hätte, und «Nähe des Geliebten» als Uraufführung werden von Sopranistin Rebecca Krynski Cox ausdrucksvoll gesungen. Alma begleitet selber am Flügel. Dann improvisiert sie souverän über vier Töne, die das Publikum ihr via Auslosung vorgegeben hat. Und dieses Publikum staunt.