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Die digitalisierte Fassung des Kultfilms «UR-Musig» (1993) des Luzerners Cyrill Schläpfer läuft ab Donnerstag am Festival Alpentöne in Altdorf.
«UR-Musig» hat vor 25 Jahren die Wahrnehmung von Schweizer Volksmusik grundlegend verändert. Da öffnete sich eine archaische Musikwelt aus den alpinen Gebieten von Appenzell und der Innerschweiz, die nichts mit dem «Hudigäggeler»-Einerlei und der auf Bodenständigkeit getrimmten Fernseh-Folklore zu tun hatte. Sie war beseelt von herzergreifenden Jüüzlis, groovenden Schwyzerörgelis, von Alpsegen, Betrufen und den Zäuerlis der Urnäscher Silvesterchläuse.
«Als Ethnologe hat mich der Film begeistert», sagt Johannes Rühl, der scheidende künstlerische Leiter des Festivals Alpentöne in Altdorf.
«Da hat sich endlich jemand getraut, den Nebel des Folklorismus zu durchbrechen. Der Film hat eine Welle der Inspiration ausgelöst.»
Das war auch bitternötig. «Die Volksmusik war damals für viele ein No-Go», sagt der Luzerner Filmemacher Cyrill Schläpfer. «Sie war verpönt und vorbei.» Schläpfer aber hatte ein Gespür für den Klang des Urtümlichen. «Der Widerstand gegen die Volksmusik war für mich ein Ansporn, mich noch intensiver damit zu beschäftigen.»
«UR-Musig» ist ein Film, der in einer einzigen langen Komposition Bilder und Klänge von Landschaften und Menschen verwebt und ganz ohne Kommentare auskommt. «Ich habe abgebildet und zu Gehör gebracht, was mich berührt hat», sagt Cyrill Schläpfer. Sein Ziel war ein «kompromissloser Film», der nicht analytisch erläutern, sondern das Urtümliche und die emotionale Direktheit spürbar machen sollte. Der 1993 in Locarno uraufgeführte Film erhielt begeisternde Kritiken und stiess in der Folge auf eine ungewöhnlich grosse Resonanz. Allein in Zürich lief er jeden Sonntag über zwei Jahre lang.
Der aus Wald (AR) stammende Schläpfer war bereits vertraut mit volksmusikalischen Klängen. Während seiner Zeit als Produzent beim Musik-Label EMI, zuständig für den Bereich Volksmusik, entdeckte er alte Aufnahmen von Schwyzerörgeler Rees Gwerder und wurde sein Schüler. Gwerder nahm ihn später immer wieder in seinem Heimet auf dem Artherberg (SZ) auf. Das weckte die Lust, wie ein Ethnologe Musiker in den Bergtälern aufzusuchen, wo er «Field Recordings» – also Feldaufnahmen – machte. Irgendwann war klar:
«Um den Stimmungen und den Emotionalitäten gerecht zu werden, musste ich die Musik im Film darstellen.»
Vier Jahre hat Cyrill Schläpfer zusammen mit Jürg Hassler an «UR-Musig» gearbeitet. Die Finanzierung erwies sich zunächst als schwierig, weil sich niemand auf diese unübliche Darstellung eines Dok-Themas einlassen wollte. Die Studio-Experten bemängelten, dass die Aufnahmen noch «Hintergrundgeräusche» enthielten und weigerten sich, diese «Field Recordings» in den Film einzufügen. Aber Widerstände sind ein kreatives Elixier für Schläpfer. «Etwas Gegensteuer zu geben, liegt mir. So funktioniere ich besser, als dort mitzumischen, wo schon alle wissen, wie es geht.»
Johannes Rühl sieht in «UR-Musig» nicht nur ein einzigartiges Dokument über eine Musiktradition, «sondern auch ein Statement über den Umgang mit ihr. Der Film nimmt die Musik und ihre Protagonisten ernst.» Grund genug, ihn am Festival Alpentöne in der neuen digitalen Fassung einem Publikum (wieder) vertraut zu machen. «Nach bald 30 Jahren vermittelt der Film immer noch, was man der Volksmusik nicht mehr zugetraut hat: dass sie wirklich lebendig war und die Menschen im Innersten bewegt hat.» Der Film habe vor allem das volksmusikferne Bildungspublikum begeistert, sagt Rühl. «Für dieses war die Musik zuvor allenfalls politisch konservativ konnotiert. Das hat sich mit dem Film geändert. Man konnte diese ‹echte› Volksmusik nun vorbehaltlos gut finden.» Wie «vergangen» die Welt von UR-Musig inzwischen geworden sein mag, ist für Rühl sekundär.
«Jede Realität, die 30 Jahre zurückliegt, ist vergangen. Was wir erhalten können, ist die Lebendigkeit, aber nur unter den jetzigen Lebensbedingungen.»
Cyrill Schläpfer hat den Film «mit Respekt den traditionellen Musikern, den naturverbundenen Berglern und den sturen, querstehenden Grinden aus dem Appenzellerland, dem Muotatal und der Innerschweiz» gewidmet. Es ging ihm nicht nur um die Klänge, sondern auch um diese besondere Sorte von Menschen in ihrem natürlichen Umfeld. Da hat sich einiges verändert. Viele der gefilmten «Heimetlis» sind verschwunden. Rees Gwerder, der Hauptprotagonist von «UR-Musig», ist 1998 gestorben.
Dass hingegen die Begeisterung für die Volksmusik stetig zugenommen hat, weiss auch Schläpfer. «Ich bin fast überfordert, wie viele Formationen und Projekte sich davon inspirieren lassen.» Nur: «Der Menschenschlag und diese Haltung, wie ich sie damals festhalten konnte, das existiert fast nicht mehr.» Dieses Sture, Knorrige, Eigensinnige, auch Skeptische.
«Leute mit dieser Mentalität sterben aus. Gerade sie bilden den Gegenpol zum Mainstream.»
So bleibt bei Schläpfer, der mit seinem Film so viel bewegt hat, ein leises Gefühl der Ambivalenz zurück. «Es liegt nicht an mir, musikalische Entwicklungen zu beurteilen. Der Lauf der Dinge geht seinen Weg.» Früher sei er ein grosser Fan des Schwingens gewesen, sagt Schläpfer. «Es war lange Zeit die einzige Sportart, die ohne Werbung ausgekommen ist. Inzwischen hat das Schwingen ein solche Dimension angenommen, dass ich sagen muss: Nein, danke, ich habe es gesehen.»
Hinweis: UR-Musig wird mehrmals im Cinéma Leuzinger gezeigt. Infos unter www.alpentoene.ch