Die St. Petersburger Philharmoniker boten ein rein russisches Programm, das dem Festival-Motto denkbar gut entsprach. Der Dirigent und der Jungpianist kamen ebenfalls aus Russland.
Die grosse Orchesterparade des Lucerne Festival, die bereits in die zweite Hälfte geht, kann immer wieder Überraschungen bieten. Vor allem wenn die Chefposten wechseln, was in diesem Jahr, teils aus unvorhergesehenen Gründen, besonders häufig der Fall ist. Aber wenn der heute 80-jährige Yuri Temirkanov mit den St. Petersburger Philharmonikern erscheint, ist es beinahe die ewige Wiederkehr. Denn seit 30 Jahren amtiert er als Chef dieses Orchesters, dessen Leitung er damals vom legendären Evgeny Mrawinsky übernahm.
Kommt dazu, dass er seine aus dem Ballett von Peter Tschaikowsky zusammengestellte Nussknacker-Suite mit seinen St. Petersburger Philharmonikern bereits 2001 dirigiert hat. Man darf nicht erwarten, dass da grosse Veränderungen stattfinden. Der rüstige Altmeister hat volles Vertrauen in sein Orchester, dirigiert ohne Stab und beschränkt sich, einmal mit einer, meist mit beiden Händen, auf sparsame Zeichen, die mehr eine Einladung an die Musiker bedeuten.
Dass er den grossen romantischen Klang liebt, zeigte schon das eröffnende Orchesterzwischenspiel «Die drei Wunder» aus dem vierten Akt der Oper «Das Märchen vom Zaren Saltan» von Nikolai Rimsky-Korsakow, das nun allerdings zum ersten Mal am Lucerne Festival erklang. Schwer legte sich das gross besetzte philharmonische Orchesterkleid auf die drei musikalisch geschilderten Wunder. Die auffallend hell schmetternden Trompeten krönten dabei das orchestrale Feuerwerk.
In diesem Stil ging es nach der Pause weiter. Hatte man beim Zwischenspiel auf den im Gesamtprogramm angekündigten berühmt-berüchtigten «Hummelflug» verzichten müssen, hörte man nun Hits zuhauf. Denn Temirkanov stellte seine Suite aus dem zweiten Akt der Ballettmusik «Der Nussknacker» von Peter Tschaikowsky zusammen, der attraktiver ist als der erste. Vor allem die Nationaltänze aus dem gross angelegten Divertissement, wo nur ein Teil des Orchesters spielt, ergaben glänzend unterhaltende Darbietungen.
Vor allem der «Tanz der Rohrflöten» stach heraus. Übertroffen wurde er vom «Tanz der Zuckerfee» aus dem «Pas de deux», den der als Nussknacker erlöste Prinz mit Carla tanzt, in deren Traum die märchenhafte Welt Gestalt angenommen hat. Die Bassklarinette und vor allem das Celesta-Solo liessen hier ein Stück von porzellanfeiner Zerbrechlichkeit aufleben. Nicht fehlen durfte der Blumenwalzer, in dem das Orchester nochmals, wenn auch etwas einförmig und kompakt, seine auffallend im Bass grundierende Klangpracht entfaltete.
Der grösste Hit war vor der Pause erklungen: das zweite Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow, in dem sich der aufstrebende sibirische Jungpianist Sergej Retkin vorstellte. Er legte das Konzert vom ersten Ton an sehr kontrolliert und bestimmt an, ergriff jede Gelegenheit zum Attackieren.
Trotzdem drohte er manchmal vom mächtig auftrumpfenden Orchester zugedeckt zu werden. Wenn es ihm gelingt, die gerade bei diesem Konzert auffallend häufigen elegischen Melodien noch stärker zum Tragen zu bringen, dürfte er sich zu einem bedeutenden Rachmaninow-Interpreten entwickeln.