Am Strand dösen, exotische Paradiese entdecken, Party machen, ein wenig bloggen und dabei Geld verdienen. Davon träumen viele. Zwei Reiseblogger über die Tücken des Traumberufs – und warum sie damit aufgehört haben.
Er taucht mit Krokodilen in Südafrika, besucht Formel-1-Rennen in Singapur, fliegt mit Bundesrätin Doris Leuthard nach Peking. Als der Berner Jeremy Kunz 2006 mit seinem Blog Reisewerk.ch beginnt, ist er einer der ersten in der Schweiz. Plötzlich klopfen Hotels bei ihm an, Einladungen zu Pressereisen trudeln ein. Er kündigt seinen Job als Leiter einer Reisefiliale – und zelebriert online sein Luxusleben. Er fliegt Business Class, trinkt Champagner. Monatlich 35 000 Follower lesen ihn.
Heute gibt es Reiseblogs wie Sand am Meer. Wer nicht untergehen will, muss eine Nische finden. Es gibt Blogs für Singles, Berufstätige, für Reisen mit Kind oder mit Hund. Die Deutsche Marlene Rybka will mit ihrem Blog Couchabenteurer.de Lust machen, den Hintern von der Couch zu kriegen und ein aktives, Leben zu führen. «Noch vor einigen Jahren spielten sich meine eigenen Abenteuer vor der Glotze ab.» Die Grafikerin beschloss, ihr Leben zu ändern und die Welt zu entdecken. Wie jede Reisebloggerin hoffte sie, davon leben zu können. «Ich bin aber schnell in der Realität angekommen.»
Sie besuchte Blogger-Seminare. Erfuhr, wie man titeln muss, damit man über Google gefunden wird. Dass Aufzählungen wie «Die geilsten 10 Plätze in Barcelona» oder «Die ultimative Packliste» im Internet funktionieren. Und lernte: «Ihr braucht keine Follower, ihr braucht Fans.» Sprich: Die Bloggerin muss möglichst viele Bilder von sich posten, dauernd kommentieren und mit der Community kommunizieren. «Zuerst fehlte mir der Mut», sagt Rybka, die sich lieber hinter ihrer Fotokamera verschanzte. Als sie über ihren Schatten sprang, erhielt sie mehr Resonanz.
Fast ein Jahr lebte sie als Bloggerin. Bereiste Indien, Südafrika, China und die Karibik. In der Dominikanischen Republik arbeitete sie mit Meeresbiologinnen auf einem Walbeobachtungsschiff und bloggte als «Walflüsterer» über ihre Begegnungen mit Buckelwalen. Ein Traumberuf?
«Bloggen ist sehr viel Arbeit.» Sie textet, dreht und schneidet Videos, fotografiert, bearbeitet ihre Bilder auf Fotoshop, verhandelt mit Marketingunternehmen, ist von früh bis spät auf allen Social-Media-Kanälen aktiv und macht aus ihrem Leben eine Reality-Show. Viele Reiseblogger bessern ihr Einkommen mit Fotokursen und Social-Media-Workshops auf.
Ein Vorbild für viele ist die Deutsche Conni Biesalski, eine schlaksige Frau mit Kurzhaarschnitt und Shorts. Mit ihrem Reiseblog planetbackback.de spricht die 34-Jährige primär Heerscharen von Frauen an, 100 000 Leute schauen sich ihren Blog monatlich an. Darauf gibt sie ihre Erfahrungen als lesbische Reisende weiter. Sie verrät, dass sie 77 Länder meidet, in denen eine homophobe Einstellung herrscht.
Lange sei sie gereist, um vor sich selbst davonzulaufen. Das High einer neuen Umgebung lasse aber schnell nach. «Dann sitze ich eben woanders auf der Welt – mit denselben Gedanken, demselben Schmerz.» Solche intimen Statements schaffen Nähe. Und auch die Versprechen auf ihrem Blog klingen verführerisch: «Ich zeige dir, dass Meditation und Yoga und das Leben aus dem Rucksack fucking sexy ist.» Sie tut so, als sei nichts leichter zu meistern als ein Dasein als «digitale Zen-Nomadin», die in Bali meditiert und ihre Siebensachen im Rucksack verstaut. Und sie verkauft Anleitungen, wie man ihr es nachtun kann.
Heute kündigen, morgen Geld verdienen mit Bloggen? «Da kann man auf die Nase fallen», sagt Marlene Rybka. Blogger mit vielen Fans kriegen zwar Reisen geschenkt, aber vor Ort fallen weitere Kosten wie Taxi, Visa und Trinkgeld an. «Wie soll ich bloss meine Krankenkasse bezahlen?», fragte sich Marlene Rybka dauernd. Blogger verdienen daran, dass sie für Produkte werben. Wer seinen Blog aber mit Werbung vollkleistert, verspielt Sympathien. Marlene Rybka verdiente mit Werbung «teils nur Centbeträge». Auch Fotos weiterverkaufen sei schwierig: «Machu-Picchu-Bilder gibt’s schon millionenfach. Da muss man schon etwas Besonderes bieten.»
Ernüchtert stellte sie fest, dass etliche Blogger mit einem vermögenden Partner verheiratet sind oder aus reichem Haus kommen. Nicht viel übrig hat Rybka für junge Instagram-Schönheiten, «Mädels mit Hut und gesponserter Uhr am Handgelenk. Schön, aber austauschbar.» Ihre Bilanz zum Bloggen: «Das geht ganz gut, wenn man noch bei Mama und Papa lebt.» Inzwischen arbeitet sie wieder im Online-Marketing einer Fluggesellschaft – und ist auf dem Blog etwas weniger aktiv.
Jeremy Kurz schaffte es, von seinem Blog Reisewerk.ch zu leben. 365 Tage im Jahr auf Achse, versorgt er seine Leserschaft laufend mit frischen Artikeln. Zu seinen Höhepunkten gehört eine Reportage über touristische Elefantencamps, in denen Tiere gequält werden. Er recherchiert ein halbes Jahr und deckt Missstände auf. Als «Blick» die Geschichte aufgreift, beenden Schweizer Tour Operators die Kooperation mit Elefantencamps in Thailand. Kurz ist auch skeptisch, als eine Fluglinie «Einen Tag am Meer» lanciert: Man fliegt am Morgen nach Griechenland und am Abend wieder in die Schweiz. Zugleich preist sich der Anbieter als ökologisch an. «Peinlich, unsympathisch, ungeil», befindet Kunz auf seinem Blog. Kurz darauf wird das Angebot gestrichen.
Trotz solcher Coups hatte Jeremy Kunz nach zwölf Jahren genug vom Leben aus dem Koffer. 2017 löschte er seinen Blog. «Gewisse Sachen werden normal. Man denkt: Ach, schon wieder Business Class fliegen, schon wieder ein Luxushotel.» Seine Beziehung ging wegen des Reiselebens in die Brüche. Auch war es schwierig, den Freundeskreis aufrechtzuerhalten. «Ich fühlte mich einsam.» Ärger mit bürokratischem Krempel und Beziehungsprobleme verschwieg er den Lesern, weil «zu langweilig». Auch der verschärfte Konkurrenzkampf unter Bloggern gefiel ihm nicht.
Heute ist der 32-Jährige wieder sesshaft als Marketingmanager für die Seiler Hotels in Zermatt. Kürzlich ist er Vater einer Tochter geworden. Täglich erhält er Anfragen von Reisebloggern, meistens lehnt er ab. «Man merkt rasch, wer nur gratis reisen will.» Heute sei es für Blogger «superschwierig» herauszustechen, die meisten seien austauschbar. «Kritische Geschichten und vertiefte Recherchen sind selten.» Jeremy Kunz liebäugelt damit, wieder selber einen Blog zu schreiben. Dann aber mit lokalen Geschichten aus Zermatt.
Jeremy Kunz mag travelita.ch, Globesession.com und Off-the-path.com. Marlene Rybka empfiehlt Breitengrad66.de und den Reiseblog von Anna immer-unterwegs.ch. (mem)