Die Elbphilharmonie in Hamburg deklassiert das KKL im Konzertsaal-Ranking nicht. Aber ihre Akustik besticht durch eine kristalline Klarheit und eine Direktheit, die einen wie Paukenschläge anspringen.
«Schau mal, das war am 11. Januar 2017!» Es klang beschwörend wie ein Märchen, als Bundeskanzlerin Angela Merkel einem Fernsehsender ihr Statement abgab zur Elbphilharmonie in Hamburg, deren Eröffnungsakt wohl ihretwegen eine halbe Stunde verspätet begann. Aber das war nichts gegen die Zeitspanne, die Merkel vor dem Mikrofon ins Auge fasste.
Sie sprach nämlich aus einer Oma-Perspektive zur Urenkel-Generation. Und fand es grossartig, dass «auch unsere Zeit Bauwerke hervorbringt, auf die man sogar in 100 Jahren» bewundernd zurückblicken könne.
Als Touristenattraktion und Symbol für einen kulturellen Aufbruch in einer postindustriellen Zeit im Welthafen von Hamburg dürfte dem Bau eine historische Bedeutung sicher sein. Aber wie weit gilt das auch für die Akustik? Das Eröffnungskonzert mit dem vorzüglichen NDR-Elbphilharmonieorchester unter Thomas Hengelbrock lotete das mit einem Programm aus, das sich von vokaler Barockmusik über die Romantik bis zu einer Uraufführung von Wolfgang Rihm erstreckte.
Wer befürchtete, der KKL-Konzertsaal falle im Ranking der weltbesten Konzertsäle klar um einen Rang zurück, konnte aufatmen. Die Akustik des neuen Saals ist zwar tatsächlich hervorragend: Die kompakte Rundform, die die 2100 Zuschauer fast familiär zusammenrückt, ermöglicht dank der Nähe zum Orchester einen direkten und weniger distanzierten Klang als im KKL. Aber neben dem direkten Schall entfaltet sich der Klang im Raum weniger, als man es hier gewohnt ist. Die Akustik ist ohnehin abhängig von Variablen wie Repertoire, Besetzungsstärke oder Publikum. Selbst Thomas Hengelbrock war offenbar erstaunt, dass der volle Saal trockener klang als in Proben vor Publikum.
Die direkte, kristallklare Akustik bot ideale Voraussetzungen in Werken mittlerer Besetzung. Schon in Beethovens Prometheus-Ouvertüre setzte Hengelbrock vom ersten, spektakulär aufplatzenden Paukenschlag an so viel Energie frei, dass jedes Detail sich zum Drama zuspitzte. Ideal ist diese punktgenau-lichte Transparenz auch für das Dickicht manch zeitgenössischer Musik. Im Finale von Messiaens «Turangalila»-Sinfonie oder Rolf Liebermanns «Furore» für Klavier und Orchester konnte man sich beim knackig-rhythmischen Klangbild vorstellen, wie gut auch Jazz hier klingen wird. Und der aufflammende Expressionismus von Rihms «Reminiszenz» an den Hamburger Dichter Hans Henny Jahnn blieb bis in klangliche Verdichtungen feinnervig fassbar.
Ein direkter Raumklang, der eher blosslegt statt Pianissimowunder wie im KKL zu unterstützen – diesen Eindruck bestätigten barocke Kostproben. Selbst die phänomenale Stimme Philippe Jarousskys entschwebte nicht in den Raum, sondern blieb auf den Rang fokussiert, von dem her der Countertenor einen intimen Ton in diese Eröffnung einbrachte.
Im klassisch-romantischen Kernrepertoire, wo die Akustik eher einen Spalt- als Mischklang begünstigt, ergibt sich ein interessanter Spielraum: Im Finale aus Brahms’ zweiter Sinfonie unterstützte sie Hengelbrocks rasant entschlackte, historisch orientierte Gangart, im Finale aus Beethovens Neunter Sinfonie fasste der Saal das monumentale Volumen auch der Chöre des NDR und des Bayerischen Rundfunks ohne die Gefahr eines breiigen Pomps.
Dass die Amphitheater-Form die Balance in den einzelnen Publikumssektoren verschiebt, machte die Orgel offensichtlich. Aber das demokratische Gemeinschaftsgefühl, das sich hier einstellt, weist über solche Spitzfindigkeiten hinaus. Es steht für das Bekenntnis, die Elbphilharmonie sei ein Haus für alle. Am Eröffnungsakt forderte das Bundespräsident Joachim Gauck mit Blick auf die dafür verwendeten Steuermillionen unmissverständlich ein. Daraus ergebe sich das «Gebot», die Popularität des Gebäudes zu nutzen, um hier ein breites und junges Publikum für klassische Kultur zu gewinnen.
Mit der Volksnähe begann Merkel, als sie nach dem Eröffnungsakt nicht in VIP-Nischen verschwand, sondern durch die Foyers wandelte. Und sich auch mal aus dem Kreis der Bodyguards löste, um den Gruss eines Besuchers zu erwidern, der eines der verlosten Eintrittstickets gewonnen hatte. «So nahe kommst du ihr nie wieder», lachte ihm seine Frau nach dem Händedruck zu. Und das in der mondänen Elbphilharmonie Hamburg.
Urs Mattenberger, Hamburg
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