EMMENBRÜCKE: «Im Iran könnte ich das nicht»

In der AB Gallery arbeiten Kunstschaffende aus dem Mittleren Osten: Es ist ein Kulturaustausch, der Vorurteile abbauen und Brücken schlagen soll.

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Die iranische Künstlerin Samira Hodaei bei der Arbeit in Emmenbrücke. (Bild: PD)

Die iranische Künstlerin Samira Hodaei bei der Arbeit in Emmenbrücke. (Bild: PD)

«Philosophy of the Bedroom» nennt die Künstlerin Samira Hodaei (34) ihre neuste Werkreihe, die sie zum Teil in Emmenbrücke entwickelt hat. In ihrer Heimat Iran würde wohl schon dieser Titel Anstoss erregen, geschweige denn die Kunst selber. Die in aufwendigen Techniken und mit Glasfarbe realisierten Bilder wirken in ihren verpixelten Unschärfen wie textile Kreationen. Sie zeigen Frauenfiguren, die etwas Sinnliches und Verwundbares, aber auch Kraftvolles und Verwegenes ausstrahlen.

Lügen und Doppelleben

«In unserem Alltag in Iran müssen wir soviel lügen und ein Doppelleben führen. Erst in den Momenten, bevor du einschläfst, beginnt die wirkliche Selbstreflexion wie: Wer bist du? Was machst du genau?», sagt Samira Hodaei. Diesen Momenten, während denen auch verborgene Aspekte der eigenen Persönlichkeiten aufsteigen, hat Samira ihre aktuelle Werkreihe gewidmet.

In früheren Werken hatte sie oft persische Motive in ihre Arbeiten verwoben, manchmal mit verschlüsselten Botschaften, die nur im Iran verstanden wurden. Mit «The Philosophy of the Bedroom» setzt sie nun auf ihr Ureigenes. Sie nickt. «Das ist meine persönlichste Arbeit. In Iran könnte ich die Bilder nicht zeigen.» Dafür stösst sie in der westlichen Welt zunehmend auf Beachtung. Seit ein paar Jahren kann sie von ihrer Kunst leben.

«Über Grenzen hinweg»

Möglich gemacht hat dies nicht zuletzt die Aufbau-und Vermittlungsarbeit der Stiftung Oryx von Franz J. Leupi und Heidi Leupi. Sie betreiben die AB Gallery – AB wie «Across borders». Jedes Jahr laden sie vier bis fünf Kunstschaffende ein, die einen oder zwei Monate in Emmenbrücke wohnen und arbeiten können. Sie kommen aus dem Iran, dem arabischen Raum und Nordafrika. Man staunt über die künstlerische und auch freundschaftliche Kontinuität, die sich abseits des Rampenlichts entwickelt hat.

«Wir haben den Mittleren Osten vor 12 Jahren kennen gelernt und sind dort auf interessante Künstler gestossen. Deshalb konzentrieren wir uns nun auf dieses Gebiet», sagt Franz Leupi. Das Atelier ermöglicht Begegnungen zwischen Künstlern, Kritikern, Interessierten und Sammlern. Regelmässig finden auch Vorträge mit Nahostexperten statt. Heidi Leupi: «Wir möchten den Kulturaustausch und den grenzübergreifenden Dialog fördern. Die Kunst ist ein ideales Medium dafür.»

Die zeitgenössische Kunst ist im islamischen Raum noch jung. Allgemein gilt, dass Künstlerinnen akzeptierter sind als Künstler. «Kunst ist ein Hobby, wie es Frauen machen, Männer widmen sich dem Business», bemerkt Samira sarkastisch. Gegenüber offenem Ausdruck, wie sie die Kunst mit sich bringt, verhält sich das Regime repressiv. Die Werke dürfen nicht gegen sittlich-religiöse Werte verstossen. Auch politisch herrscht eine scharfe Zensur. «Eine Kollegin hat Parlamentarier mit Tierköpfen gemalt. Nun sitzt sie im Gefängnis», sagt Samira.

«Die Menschen sind verwirrt»

Nach dem Aufflackern des arabischen Frühlings ist auch in Ägypten die Situation für Kunstschaffende wieder angespannt. «Damals wurde die Kunst plötzlich öffentlich. Jetzt werden die Freiheiten wieder eingeschränkt, die Künstler ziehen sich ins Private zurück», sagt Mina Nasr (32), der auch in Emmenbrücke arbeitet und schon in Deutschland, England und China ausgestellt hat.

Mit Graphit zeichnet er lebensgrosse Figuren, die warten. Leute aus Kairo, aus verschiedenen Schichten und Kulturen. Links und rechts thront die Sphinx. «Die Menschen sind verwirrt. Sie wissen nicht, was sie erwartet.» Mina Nasr versteht sich als politischer Künstler. «Die Situation bei uns ist nicht vergleichbar mit Iran. Das Fernsehen ist nicht zensuriert, wir haben freien Zugang zum Internet. Aber man muss seine Botschaften wieder stärker zwischen den Zeilen anbringen.»

Eher Kitsch in Syrien

Wenig zeitgenössisch im westlichen Verständnis wird in Oman oder Syrien gearbeitet. «Die Werke sind eher traditionell oder kitschig für unsere Begriffe», sagt der Luzerner Künstler Bruno Müller-Meyer. Er ist durch diese Gebiete gereist und hat mehrmals in Oman, in den Emiraten und in Syrien gearbeitet oder ausgestellt. «Ich habe inspirierende Künstler getroffen, die weltoffen sind und interessiert an moderner Kultur.»

Müller-Meyer ist für die Oryx-Stiftung ein wichtiges Bindeglied. Sind die arabischen oder iranischen Kunstschaffenden in Emmenbrücke, verbringt er viel Zeit mit ihnen, zeigt ihnen unsere Kultur, stellt sie Freunden vor. Mit seiner Arbeit «Von Luzern nach Mekka» ist er als einziger Schweizer an der Gruppenausstellung mit sechzehn arabischen und iranischen Künstlern beteiligt, die heute in Rapperswil eröffnet wird. «Ich finde es wichtig, dass diese Kunstschaffenden den Westen kennen lernen und hier ihr Netzwerk erweitern können.»

Kunst als Lifestyle

Eine kleine und junge zeitgenössische Szene hat sich in den letzten Jahren vor allem in den Vereinigten Arabischen Emiraten entwickelt. «Kunst wird dort zunehmend als hervorragendes Marketinginstrument entdeckt. Auch der Kunsthandel ist sehr marktorientiert und gewinnt an Boden», sagt Franz Leupi. Ebenso wachse das Interesse an Kunst aus dem Westen. «Viele sind hungrig und wollen mehr erfahren und die zeitgenössischen Werke verstehen.»

Die Kunstvermittler in Emmenbrücke sind sich klar, dass es noch viel Aufbauarbeit braucht, damit sich ein tieferes Verständnis für Kunst entwickeln könne. Heidi Leupi: «Das gilt auch für Medien und Kritiker. Kunst wird in den Städten der Emirate vor allem als Lifestyle wahrgenommen. Events sind wichtig.» Müller-Meyer: «Die Fotos über Ausstellungen zeigen die prominenten Persönlichkeiten, die versammelt sind. Mit etwas Glück sieht man vielleicht noch ein wenig Kunst im Hintergrund.

» Ratlos ist man über die Auswirkungen des IS-Regimes in Syrien und im Irak auf die Kunstschaffenden. «Ich weiss, dass einige ins Ausland geflüchtet sind, etwa nach Beirut», sagt Müller-Meyer. Andere müssten sich den Verhältnissen anpassen. Schwierig sei es für die Betroffenen, wenn sie nach Europa eingeladen würden, sagt Franz Leupi. «Die Erwartung ist gross, dass sie die Aktualität verarbeiten. Aber die meisten können dieser nicht gerecht werden. Sie wollen sich lieber mit andern Themen beschäftigen. Vielleicht auch nur, weil sie es anders gar nicht ertragen würden.»

Tief durchatmen

Samira Hodaei hat die Repression am eigenen Leib erfahren. Weil sie sich in der Öffentlichkeit nicht ganz angemessen verhüllt hatte, wurde sie abgeführt und verhört. Umso befreiter fühlt sie sich in der Schweiz. Wenn sie aus dem Flugzeug steige, atme sie jedes Mal tief durch. Ein Glücksgefühl. «Es ist so ruhig und entspannt hier. Ich bin nicht eingeengt. Die Ideen für meine Arbeit kommen mir meistens hier.» Trotzdem möchte sie sich nicht definitiv im Westen niederlassen. «Ich bin eben auch im Iran verwurzelt.» Sie lächelt. «Aber am liebsten wäre ich an beiden Orten.»

Arabische und Iranische Museumsausstellung im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil, ab Sonntag, 26. Juli bis 16. August. Weitere Infos unter www.oryx-foundation.com.

Pirmin Bossart