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Kultur
Neuer Name, neues Datum und neue Konzertlokale – die Pandemie sorgt beim ehemaligen Osterfestival in Andermatt für einen grossen kreativen Schub. Was bleibt ist die stilistische Vielfalt von der Klassik über Blas- bis zu neuer Volksmusik.
Als im März der Lockdown kam, war dies für das Osterfestival in Andermatt ein Schock. Viel Geld wurde bereits ausgegeben – etwa 50000 Franken –, und die Künstler standen in den Startlöchern. Wenn der 75-jährige Intendant Prof. Jörg Conrad zurückschaut, kann er es immer noch kaum glauben: «Die Coronapandemie zwang uns schlichtweg in die Knie. Da waren viel Geld und Künstlerblut im Spiel. Aber in solchen Momenten darf man den Kopf nicht verlieren und muss cool weiterdenken. Wir mussten schnell entscheiden, verschieben wir das Festival oder lassen wir es ganz ausfallen.»
Schnell war klar, dass Aufgeben keine Option ist. Einerseits zeigten sich der Bund und der Kanton Uri sehr grosszügig und haben etwa 80 Prozent der angefallenen Ausgaben abgedeckt. Hinzu kam, dass die Organisatoren mit dem Ostertermin schon länger unzufrieden waren. Bereits zwei Mal schneite es so stark, dass die Züge nicht fahren konnten und die Pässe geschlossen waren. Auch der jährliche Osterstau sorgte immer wieder für Ärger unter den Konzertbesuchern. Der Schreibende selbst stand schon in der Blechlawine – bereits vor der Ausfahrt nach Andermatt.
«Die Pandemie hat uns deshalb den letzten Kick gegeben, das Festival für immer in den September zu verlegen», führt Jörg Conrad aus. «Finanziell sind wir zwar wegen Corona immer noch im roten Bereich. Wir hoffen jedoch, dies im Herbst korrigieren zu können. Wir werden bei den Konzerten Spendentöpfe aufstellen, und die Fernsehmoderatorin Sabine Dahinden wird beim Eröffnungsanlass darauf hinweisen, dass für uns jetzt jeder Franken wichtig ist.» Das Team selbst arbeitet vollständig ehrenamtlich. Auch Jörg Conrad kassiert keinen Franken. «Während 39 Jahren Orchestermusik hat man mir die Noten auf den Tisch ‹geklöpft›», erklärt der frühere Konzerttrompeter, Orchestermusiker und Musikpädagoge schmunzelnd. «Selber ein sinnvolles Programm zu kreieren, ist für mich sehr befriedigend. Das ist eine Lebenspassion und macht jedes Mal Spass. Ich glaube, ich würde eher sterben, wenn es keine Kultur mehr gäbe, als wenn ich Corona hätte.»
Das sechste Festival in Andermatt hat nicht nur ein anderes Datum, sondern trägt neu auch den Namen «Gotthard Klassik Festival». Damit möchte man sich klarer positionieren, sich stärker von den anderen im Bergdorf stattfindenden Konzertevents abgrenzen. Neben den eher kleinen Swiss Alp Classics, die in Vitznau und Andermatt spielen, sind das vor allem die Festival- und Konzertserien unter dem Label «Andermatt Music» mit dem Anspruch, grosse Klassik ins Bergresort zu bringen. Dieses Jahr wurden zwar alle Auftritte abgesagt, aber man kann davon ausgehen, dass die nächste Ausgabe nahtlos bei den Stars der letzten zwei Jahre wie Daniel Barenboim oder den Berliner Philharmonikern anknüpft.
Das Gotthard Klassik Festival bleibt sich hingegen auch unter neuem Namen treu und setzt auf viel einheimische Exzellenz. «Zwar mussten wir bei fünf von sieben Konzerten neue Formationen finden», führt Conrad aus, «dies jedoch nicht wegen Einreisesperren, sondern weil die Musiker teils anderweitige Verpflichtungen mit ihren Orchestern haben. So hatten die Festival Strings Lucerne damals noch ein Asienengagement für den Herbst geplant. Dies fällt jetzt zwar weg, aber wir mussten im Frühling bereits entscheiden.» So kommt es, dass dieses Jahr die Camerata Zürich unter Igor Karsko und mit dem Trompetensolisten Immanuel Richter das Eröffnungskonzert bestreiten.
Drittes Novum: der Ort. Zum ersten Mal finden drei Konzerte des Festivals in der Konzerthalle Andermatt statt. Der optisch überzeugende Saal hat akustisch seine Tücken. Vor allem bei Sinfoniekonzerten – bei der Eröffnung ist es die Vierte von Beethoven, die erklingt – braucht es viel Fingerspitzengefühl, um die Balance zu wahren. Jörg Conrad sieht es gelassen: «Wir haben genügend Probezeit eingeplant. Alles ist eine Frage des Ausgleichs der Register. Damit habe ich viel Erfahrung. Als ich beim Luzerner Sinfonieorchester als Trompeter spielte, habe ich die deutsche Klappentrompete eingeführt – als Erster in der Schweiz. Diese hat einen viel weicheren Klang und fügt sich im Gegensatz zur Ventiltrompete einfacher in das Orchester ein.» Das war 1996. Conrad weiter über die damalige Neuheit in der Schweiz: «Es kam vor, dass Dirigenten die Probe unterbrochen haben mit der Bemerkung, dass sich diese Trompeten wunderbar weich in den Streicherklang integrierten.»
Heute wird selbst in grössten Orchestern europaweit mit Klappentrompeten gespielt. Ein bekanntes Beispiel sind das Lucerne Festival Orchester und ihr Solotrompeter Reinhold Friedrich.
Einiges ist jedoch auch gleich geblieben beim Festival. Die Mischung der Konzerte reicht von Klassik über anspruchsvolle Volksmusik bis hin zum Bigband-Jazz. «Es war uns, wie auch in den anderen Jahren, ein Anliegen, eine breite, spannende Palette zu zeigen», erklärt Jörg Conrad. «Die Volksmusikgruppe Rämschfädra stellt ihre Kompositionen oft auf ein klassisches Fundament, spürt aktuell zum Beispiel den Stücken Richard Wagners nach. Das kommt beim Publikum sehr gut an.» Gleich bleibt auch, dass ein Teil der Konzerte in der akustisch hervorragenden Kirche St.Peter und Paul im Dorfkern stattfindet, begleitet von einer stimmungsvollen Beleuchtungsszenerie.
In Bezug auf Corona herrscht an den Konzerten Maskenpflicht und jeder zweite Stuhl wird konsequent leer gelassen. Dafür findet kein Contact-Tracing statt. Damit trotz Vermummung etwas Festivalstimmung aufkommt, gibt es die Masken in den Festivalfarben Schwarz, Gold und Silber, zu fünf Franken das Stück. «Unsere waschbare Maske hat einen speziellen Nasenfilter, damit man keinen heissen Kopf bekommt», führt Conrad aus. «Und die Farben werden hoffentlich jede Krankenhausatmosphäre im Keim ersticken.»
Gotthard Klassik Festival: 25. September bis 4. Oktober; Infos und Vorverkauf: www.swisschamber-musiccircle.ch