Michael Fehr legt mit «Glanz und Schatten» Erzählungen vor, die durchzogen sind von archaischen Bildern. Grandios schreibt er über Frauen.
Taufrisch sind seine 18 Texte nicht mehr. Auf etlichen Bühnen haben der Berner Autor Michael Fehr und der Luzerner Gitarrist Manuel Troller mit ihnen letztes Jahr den Blues gehabt und sind dabei auch bei Musikliebhabern auf überwältigende Resonanz gestossen. Zwei Texte hatte Fehr 2016 als Hausautor auf der Bühne des Luzerner Theaters performt, andere wiederum als Hörspiel eingespielt. Die Gebrauchsspuren an den Texten des Erzählbandes «Glanz und Schatten» sind allerdings kein Makel. Sie zeugen von Qualität.
Die Trägheit des Verlagsgeschäfts kommt Fehrs Schaffenstempo dabei kaum hinterher. Im Dezember 2016 reiste der Autor mit Manuel Troller nach Los Angeles, um dort seinen literarischen Kosmos für ein englischsprachiges Publikum zu erweitern. Die im Erzählband erschienenen kürzeren Texte hat er inzwischen ins Englische übertragen. In den USA, in Indien und Sri Lanka hat sie der seit Kindheit sehbehinderte Autor performt – was die Welt für ihn «über die deutschsprachige hinaus beträchtlich vergrössert» habe.
Universen, kleine wie grosse, sind auch die 18 Erzählungen des vorliegenden Bandes. In den Texten geht es um den Zauber und den Ritus des Erzählens selbst. Das schreitet bei Fehr zügig voran. Seine Literatur trägt die Spuren der Mündlichkeit nicht nur auf der formalen Ebene – Fehr diktiert seine Texte in ein Aufnahmegerät, das Pausen als Zeilenumschläge interpretiert, was Fehrs Erzählungen wie Langgedichte aussehen lässt.
Auch in den Texten selbst wird dialogisiert. Menschen lauschen den Geschichten anderer, die wiederum erzählen. Kein Wunder, sind Fehrs Texte durchzogen von Märchenelementen, biblischer Rhetorik und archaischen Bildern und dabei weit entfernt von psychologisierender Befindlichkeitsprosa. Die Erde wird nicht nur gepflügt, auch die Worte werden bis auf ihre Wurzel ausgegraben. Es sind Geschichten, die vom Anfang her konsequent bis zu ihrem Ende gedacht sind. Fehr tut das nicht ohne Skepsis gegenüber der oft verführerischen und falschen Sprache. In «Die Königin im Wald» wird eine Schlange, die einem alten Mann eine Heldengeschichte über sich selbst auftischt, von diesem als Hochstaplerin enttarnt («ich bin ein alter Mann und habe in meinem Leben schon vieles gehört»).
In der selbstironischen Erzählung, die dem Band seinen Namen gibt, tritt ein «mies» sehender Geschichtenerzähler als Dschungelheld auf, der sich durch den Blätterwald kämpft, beim Niederstrecken einer Katze regelmässig «Seiten» wechselt, und von einem Punkt zum nächsten «satzt». In der Runde der Zuhörer wird der Rückkehrer als grosser Erzähler gefeiert, bevor er sich wieder einsam in den literarischen Dschungel zurückzieht.
Eine komplett neue Tonart hat der ursprünglich als Hörspiel veröffentlichte Text «Die Studentin». Wir lauschen dem Monolog einer promisken Studentin der Physik, die im Geiste ein ganzes Frauenleben durchexerziert. Die offenen Schenkel schliessen sich bald, und anstelle der Weltoffenheit herrscht Häuslichkeit und Zugeknöpftheit.
Im virtuosen Spiel mit (Körper)-Öffnungen und Bildern für Verschluss beschreibt Fehr, wie sich die in ihrer Jugend viel herumtreibende Planetenphysikerin irgendwann nur noch im engen Radius ihrer Familie bewegt, nicht mehr im Fleisch ihrer männlichen Sexualpartner wühlt, sondern «im roten Fleisch» in der Küche, bis auch die familiäre Idylle irgendwann explodiert.
Julia Stephan