Am Schluss ist es, als wäre alles normal. Das Publikum applaudiert bei der Premiere des Musicals «Der Ball» im Le Théâtre» mit einer begeisterten Standing Ovation. Die Stimmung auf der Bühne ist ausgelassen. Doch an diesem Abend ist einiges anders.
Denn eigentlich wäre Europas Premiere des Broadway Musicals «Der Ball» im Le Théâtre ausverkauft. Aber von den 550 Sitzen sind nur etwa 400 besetzt. Die steigenden Coronazahlen, die Verschärfungen durch Bund und Kanton sind für die Produzenten eine Herausforderung. «Für uns ist es schwierig», gibt der Co-Leiter des Le Théâtre, Andréas Härry, zu. «Die Gäste sind verunsichert, obwohl wir alle Sicherheitsmassnahmen umsetzen. Wir haben genug Platz, und die Lüftung ist top.»
Vielleicht sind es diese Probleme, die dem Abend den besonderen Kick geben. Die Krise aussitzen ist für die Künstler keine Option. Sie wollen auftreten. Während drei Stunden spielen, tanzen und blasen Ensemble und Musiker, als gäbe es kein Morgen.
Und sie kreieren einen Abend mit Witz, Emotionen, Power und Tiefgang. Etwas langsam in den ersten zehn Minuten steigert sich «Der Ball» zum Fest der Lebendigkeit. Der Cast ist ausgezeichnet. Der Wiener Ronald Tettinek war bereits in der letzten Produktion «Rock of Ages» eine Attraktion. Und auch diesmal als Musicaldarsteller Harry Glückmann. Selbstverliebt, aber mit viel Charme verführt er das Publikum. In seiner Figur vereinen sich Witz – «Ich bin schwul wie ein Eimer Perücken» – mit einer melancholischen Note. Der Sprung des «nicht dicken, nur grosszügig gebauten» Mannes auf das Bett mit anschliessendem Rad ist fast alleine schon den Abend wert.
Seine nicht minder prahlerische auftretende Bühnenpartnerin Dee Dee Allen findet in der Luzernerin Irène Straub die perfekte Besetzung. Mit grosser Musicalstimme und dunkler Färbung zieht sie ihre Show ab, auch vor dem Elternrat der kleinen Luzerner Gemeinde, wo die deutschen Stars einem lesbischen Girl zu ihrem Abschlussball verhelfen wollen. Tim Hunziker als Oliver spielt witzig den Spagat zwischen Narzissmus und Hilfsbereitschaft. Und Julia Fechter als Angie singt eine grosse Nummer über Sex-Appeal und Selbstbewusstsein.
Die Hauptdarstellerin, die junge Thunerin Sandra Bitterli, zeigt glaubhaft die Gefühle der verstossenen lesbischen Schülerin Emma. Erfrischend und ehrlich offenbart sie Zerrissenheit, Schmerz und Glück. Stimmlich weit und voll der Intensität. Herausragend. Die Ostschweizerin Kim Lemmenmeier überzeugt als Alyssa, die Emma liebt, aber lange nicht dazu stehen kann.
In weiteren Rollen brillieren Marco Canadea als Rektor der Schule oder Giusy Bringold als Alyssas einflussreiche Mutter, welche nicht wahrhaben will, dass ihre Tochter lesbisch ist.
Auf sehr hohem Niveau bewegt sich der Tanz. Choreografin Yvonne Barthel und der Dancecaptain Armando Rossi ergänzen die verflochtene Erzählung, schaffen Interpretationsspielräume. Die Musik unter Bandleader Arno Renggli schöpft aus dem Vollen. Verstärkt mit einem Bläsersatz aus Trompete, Posaune und Sax geben sie dem Stück den Extraschub. Im Mix aus Rock, Pop, Schlager, Jazz, Dixie und Latino fehlen auch High-Notes und kurze Improvisationen nicht.
Die Regie von Silvio Wey und Dramaturgin Carlotta Jarchow lässt der dichten Handlung Raum und Wirkung. In verschmitztem Spiel gehen auch im Bühnenbild immer wieder Räume auf, setzt das Licht überraschende Effekte.
Die Story um Demütigung und Homosexualität, intensiver als in früheren Produktionen, ist von Irène Straub und Andréas Härry hervorragend auf Schweizer Verhältnisse umgemünzt worden. Die Witze spielen teils treffgenau mit dem Stadt-Land Gefälle: «Kommt, wir gehen in den ‹Wilden Mann› essen.» – «Was, ihr habt hier eine Schwulenbar?». Oder wenn die deutsche Showtruppe ausgerechnet beim Schwingfest ihr Lied über «Intoleranz» vorträgt, sind die Lacher garantiert. Und auf die Aussage des Rektors «Auch Heteros mögen Musicals», antwortet Dee Dee ungläubig: «Ja, ich habe davon gehört».
2019 wurde das Stück mit dem Originaltitel «The Prom» in New York als «outstanding Musical» ausgezeichnet. Fast ein Wunder ist es, dass es nun schon in der Schweiz zu hören ist. Nützen wir diese Chance. Ein Besuch wird reich belohnt.
«Der Ball»: Aufführungen in Emmen bis zum 16. Januar; www.le-theatre.ch