Doppeltes Heimspiel für Gisela Nyfeler (33): Die Krienser Regisseurin kommt mit zwei Inszenierungen dorthin, wo alles mit Schultheater angefangen hat.
Gisela Nyfeler ist Kulturmanagerin und Regisseurin in Personalunion. Eine Vernetzungskünstlerin, der es wichtig ist, dass sich ihr Leben nicht allein an den Apéros der Kulturszene abspielt. Und eine Frau, die Menschen motivieren kann, gerne die Initiative ergreift und sich auch in der Kuratorinnenrolle wohlfühlt. Etwa, wenn sie Kunst in leer stehende und öffentliche Räume der Stadt Bern bringt.
Am Festival Heimspiele, welches das Kleintheater Luzern in diesem Jahr erstmals mit dem Südpol austrägt, kann man die Vielseitigkeit ihres Schaffens gleich an zwei Abenden erleben. Zu den eigenwilligen Formaten der zwei Arbeiten – eine davon ist eine Premiere – war es ein langer Weg, der hier in der Region seinen Anfang nahm.
Ihre ersten Schritte auf der Bühne machte die 33-jährige Krienserin beim Weihnachtsmärchen an der Schule. Da war sie neun, «Dornröschen» war aber nur etwas für Grosse, und die kleine Gisela fürchtete, dass man sie wegen ihres Alters wieder heimschicken würde. So weit ist es nicht gekommen, und Gisela Nyfeler ist in Kriens gross geworden: mit dem Jugendtheater des Heimatschutz-Theaters Kriens und beim Sofa-Theater. Zu Letzterem pflegt Nyfeler bis heute eine produktive Beziehung.
Man könnte meinen, hier habe eine früh ihre Bestimmung gefunden. Als Nyfeler in Bern das Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte aufnahm und sich parallel an Schauspielschulen bewarb, dachte sie ähnlich. Doch die Schauspielschulen sahen das anders und Nyfeler inzwischen auch. «Ich möchte nicht immer nach der Pfeife anderer tanzen müssen», sagt sie rückblickend. Der repetitive Modus beim Proben, das Reproduzieren von Vorhandenem entsprach so gar nicht ihrem Naturell. Insofern ist sie glücklich gescheitert. «Ich glaube, ich wäre eine wahnsinnig anstrengende Schauspielerin geworden», sagt sie heute. «Man hätte mit mir alles diskutieren müssen.»
Das kann sie als Regisseurin heute besser. 2011 wagte sie den Schritt in die Freie Szene, als ihr Arbeitsvertrag als Regieassistentin am Theater St. Gallen nach der Spielzeit 2010/11 ausgelaufen war. Ihr eigener Kopf hatte sich durchgesetzt. Und der hatte Ideen.
Seither ist Nyfeler mit Laientheatern und freischaffenden Profis unterwegs, hat mit der Zürcher Free Opera Company «Don Giovanni» in eine Après-Ski-Hütte gestellt und in Bern szenische Stadtrundgänge organisiert. Dass sie als junge Regisseurin Anfang Februar den Roman «Angeklagt» (2001) der Schriftstellerin Mariella Mehr für die Bühne adaptierte – am 20. Mai wird das Stück im Südpol gezeigt – erstaunt. Denn die Jenische Mariella Mehr – eines der Opfer des Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse –, die in sechzehn Kinderheimen und drei Erziehungsanstalten die Hölle erlebte, war vor allem in den 1980ern eine wichtige politische Stimme. Rein zufällig hatte Nyfeler das schmale Buch aus dem Regal der Universitätsbibliothek gezogen – und war elektrisiert. Zwischen den Buchdeckeln von «Angeklagt» tobt eine Gewalt, die man als Zuschauer unmöglich in bequemer Sitzhaltung konsumieren kann. Sogar Mariella Mehr, die erst seit 2013 wieder in der Schweiz lebt, sei an der Premiere des Stücks darüber erschrocken, wie sie etwas so Böses habe schreiben können, erzählt Nyfeler.
Nyfeler wirbelt Genres gern wild durcheinander. Mit dem Sofa-Theater liess sie 2012 Gogols «Nase» nicht auf der Bühne herumwandern wie in der Oper von Dmitri Schostakowitsch, sondern machte die «Nase» als Live-Hörspiel mit den Ohren erfahrbar. Das mit dem Live-Hörspiel verwandte Comic- Lesung-Format, das Nyfeler 2014 erstmals austestete, könnte mit der Premiere im Südpol am 28. Mai den Kinderschuhen entwachsen. Das liegt zum einen an den drei professionellen Sprechern – den Schauspielern Manuel Kühne und Romeo Meyer sowie der Radiofrau Gisela Feuz. Zum anderen aber auch daran, dass man stofflich erwachsener geworden ist. Statt «Lucky Luke» wie noch beim ersten Versuch hat Nyfeler für den zweiten Streich in der 2500 Exemplare schweren Comic-Sammlung von Manuel Kühne das Werk «Happy» von Comic-Autor Grant Morrison und dem Zeichner Darick Robertson entdeckt. Der versoffene, in die Unterwelt abgerutschte Cop Nick Sax wird wegen seines holzschnittartigen Charakters zwar keinen Innovationspreis gewinnen. Dafür erschüttert der Huf eines blauen Pferdes, das mehr in einen Fantasy-Roman passen würde, die Logik des Genres gewaltig. Nyfeler und ihr Team haben den Text aus den Sprechblasen retuschiert, die Schauspielcrew vertont die Bilder auf der Leinwand im Rhythmus ihres Auftauchens oder stellt Szenen nach.
Wenn es nach Nyfeler geht, dürfte der dritte Comic-Streich ruhig noch eine Schuhnummer grösser werden. Zum Beispiel mit dem Sinfonieorchester Luzern. Mit dem würde Nyfeler liebend gerne einmal zusammenarbeiten. Noch ist das Zukunftsmusik. Eine, die man zur Eröffnung der Salle Modulable spielen könnte, meint Nyfeler lachend und macht ihrem Ruf als Impulsgeberin wieder einmal alle Ehre.
Julia Stephan
red
Dienstag, 19., bis Sonntag, 31. Mai
Kleintheater, Luzern, und Südpol, Kriens; www.kleintheater.ch, www.sudpol.ch Nachbesprechung ausgesuchter Veranstaltungen durch Die Voyeure Luzern: www.dievoyeure.ch