FILMMUSIK: Latexbraut und Knochenmann

Das 21st Century Orchestra bot zwei Abende zwischen Magie, Horror und Wunderland. Für den Höhepunkt sorgt der Komponist gleich selber.

Roman Kühne
Drucken
Orchester im «Wonderland»: Ludwig Wicki dirigiert zu Tim Burtons Film. (Bild Manuela Jans)

Orchester im «Wonderland»: Ludwig Wicki dirigiert zu Tim Burtons Film. (Bild Manuela Jans)

Am Schluss kommt Feststimmung auf. Es ist ein Live-Moment, wie er mit grossen Ensembles nur selten zu erleben ist. Dabei hat das Konzert des 21st Century Symphony Orchestra und seines Chores ganz normal begonnen. Im Zentrum dieses Wochenendes im KKL standen der Komponist Danny Elfman und sein Künstlerpartner, der Regisseur Tim Burton. Zwei verwandte Seelen, deren «Dinge, die keinen Sinn machen» (Elfman) schon in 15 Filmen Früchte trugen.

Psychedelische Welten

Gehörte der Samstag dem Film «Alice im Wunderland», so bot der Freitag einen wilden Ritt durch Burtons unheimlich-poetische Welten. «Charlie und die Schokoladenfabrik», «Beetlejuice» mit dem genialen Michael Keaton, «Mars Attacks» oder «Nightmare Before Christmas», Mutter aller Adventszeithasser – je skurriler das Thema, desto besser.

Für einmal entstand diese Idee nicht beim 21st Century Orchestra. Die beiden Künstler selber kreierten das Projekt, das in der Royal Albert Hall und in Los Angeles debütierte. Ein Gemisch, das begeistert. Da ist einerseits Elfmans Musik, die über weite Strecken auch ohne Film erzählerische Kraft und Eleganz entfaltet. «Für diesen Abend schrieb ich alle Stücke um», erklärt Elfman: «Bei jedem Film habe ich die Themen zu einer durchgehenden Suite gefügt.»

Nur selten fehlt den Klängen das Zelluloid. Die bildliche Umsetzung im Konzertsaal nimmt die kauzigen Irrlichter der Handlungen geschickt auf. Oft sind es stehende Originalskizzen, «Storyboards», meistens von Tim Burton selbst entworfen, welche die Fantasie der Zuhörer anregen. In Abwechslung mit einem «Psychobild» aus dreidimensionalen Kreisen, ebenfalls von Burton, ist es eine gelungene Einführung in seine überspannten Zwischenwelten. Fast überflüssig sind die eingestreuten Filmausschnitte. Mit einer Aneinanderreihung von Höhepunkten ermüden sie mehr, als dass sie erhellen.

Elfman als Jack auf der Bühne

Die musikalische Qualität ist an den beiden Abenden unterschiedlich. Am Freitag hinterlässt das Orchester einen gemischten Eindruck. Es gibt schöne Momente, wie in «Big Fish», wo der grosse, wie immer kompakte und klangstarke Musikleib sich zurücknimmt, den Kompositionen Platz zum Atmen lässt. Oder das schwelgerische «Frankenweenie» mit seinen ausladenden Bögen.

Vieles ist aber auf der plumpen Seite. Die Lautstärke ist zwischen laut und sehr laut, Eleganz und Leichtigkeit scheinen selten auf. Dem Walzer («Batman») oder dem erquicklichen Jack («Nightmare Before Christmas») fehlen Witz und Noblesse. Die teils anspruchsvollen Passagen zeigen dem Orchester Grenzen auf. Der Chor singt rein und solide, ist aber in den Textpassagen schlecht verständlich.

Dass sich der Abend dennoch zu einem Spektakel wandelt, ist weitgehend der Musik zu verdanken – und dem furiosen Schlussfinale. Wie ein Kobold, ganz in schwarzen Latex gekleidet, tanzt und geigt sich Sandy Cameron durch «Edward Scissorhands». Die Amerikanerin, atemberaubend in Tempo und Ausdruckskraft und mit einer Guarneri von 1735 (!) bringt den Saal zum Kochen. Krönender Abschluss: Danny Elfman gibt den Knochenmann Jack und singt mit Spass und Lust dessen Erstaunen beim Entdecken des Weihnachtslandes («What’s This»). Das Publikum ist nicht mehr auf den Sitzen zu halten.

Film als musikalischer Höhepunkt

Wesentlich überzeugender ist die integrale Aufführung von «Alice im Wunderland» am Samstag. Schon auf über 20 Verfilmungen bringt es dieser Kinderklassiker. In der Version von Tim Burton – wie könnte es anders sein – ist er noch absonderlicher, ja düsterer als gewohnt. Die Musik setzt diese Wunderwelten treffend um. «Ich weiss bis heute nicht wirklich, wie meine Musik entsteht», gesteht Danny Elfman lachend. «Seit 30 Jahren komponiere ich, und es ist immer noch wie beim Angeln. Ich werfe die Angel aus und hoffe, dass etwas anbeisst.»

Der kammermusikalische Auftakt – im Vergleich zum Vorabend spielen die Solisten unverstärkt – bringt sanfte Töne. Lange hält der Dirigent Ludwig Wicki den Pegel unten und damit die Spannung aufrecht. Die Akzente sind leicht. Diverse Solisten auf Waldhorn, Klarinette oder in den Streichern setzen gestalterische Farbtupfer. Praktisch nahtlos knüpft das 21st Century Orchestra hier wieder an die erfolgreiche «The Artist»-Aufführung vor sechs Wochen an. Ein kleiner Höhepunkt ist der strahlende Gesang des Luzerner Boys Choir während des Abspanns: ein lichter Schlusspunkt dieser magischen Geschichte.