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Im Dokumentarfilm «Woman» von Regisseurin Anastasia Mikova (38) und Co-Regisseur und Fotograf Yann Arthus-Bertrand (74) adressieren Frauen das Publikum direkt. Auch Männer sollten sich angesprochen fühlen.
Der Franzose Yann Arthus-Bertrand, 74, fotografierte in den 90er-Jahren die Schönheit der Erde von oben. In «Woman» filmt er die Schönheit der Frau frontal. Im Dokumentarfilm, mit dem morgen das Stattkino Luzern wiedereröffnet, zeigt sich die Nähe von Fotografie und Film ganz besonders. Frauen in Nahaufnahme vor schwarzem Hintergrund, bestechend schön und feinfühlig inszeniert. Das bewegte Bild braucht es des gesprochenen Wortes wegen: Im Film kommen Bild und Ton zusammen, man erlebt die Entwicklung der Frauen vor der Kamera, wobei Mimik und Gestik dem Gesagten eine Zusatzebene verleihen. Oft braucht es keine Worte.
Wer bis ganz zum Schluss im Kino sitzen bleibt, erfährt etwas zur Entstehung der Bilder. Wie kam es zum anmutigen Unterwassertanz einer jungen Frau mit einem Wal zu Beginn des Films? Wie und wo wurden die Frauen gefilmt? Die Regisseurin Anastasia Mikova, 38, und Co-Regisseur Yann Arthus-Bertrand waren auf dem ganzen Erdball unterwegs, 2000 Frauen haben sie interviewt: Auf allen Kontinenten, in 50 Ländern haben sie Frauen gefunden, die bereit waren, sich vor der Kamera zu einem Aspekt des Frauseins zu äussern. Mutige Frauen.
Nicht alle Menschen weiblichen Geschlechts machen die gleichen Erfahrungen. Die Stellung der Frau in der Gesellschaft unterscheidet sich stark nach Herkunft: Die Lebensumstände, soziale, kulturelle und politische Faktoren haben einen grossen Einfluss darauf, wie die porträtierten Frauen sich und die Welt sehen. Das Politische und das Private dringen ineinander. Krieg, Beschneidung, Zwangsheirat, Missbrauch, Gewalt, Abtreibung, aber auch Liebe, Sexualität, Muttersein, Beruf sind die Themen, die das Regieteam den Protagonistinnen vorgibt. Leid und Freude.
Das Konzept der wechselnden Frontalaufnahmen zieht sich durch den Film. Manchmal wird als Überleitung eine Sequenz dazwischengeschoben, wie menschenleere Bilder einer zerstörten Stadt in einem Kriegsland. Die ästhetischen Aufnahmen machen traurig. Auch jene der Frauen tragen oft diesen unauflösbaren Widerspruch in sich, wenn sie – sie haben sich alle für die Kamera schön gemacht – von unermesslich schmerzvollen Erfahrungen erzählen.
Doch heisst der Film «Woman», also Frau, und nicht «Women», Frauen. Es geht dem Regie-Duo also offensichtlich darum, etwas über das Frausein an sich auszusagen. Gelingt ihnen das? Als weibliche Betrachterin spürt man tatsächlich so etwas wie eine Verbundenheit mit all diesen Frauen. Vielleicht sogar so etwas wie Stolz. Nicht ein Stolzsein darauf, dass man selbst eine Frau ist. Doch zeigen sie sich selbstbewusst und verletzlich, und man fragt sich, was man an ihrer Stelle gesagt hätte. Alle sind sie auf ihre Art schön, man spürt, dass sie sich ernst genommen fühlen. Nebst dem, dass das Regieteam «der Frau» diese Plattform gegeben hat, beeindruckt an «Woman» am meisten, dass er das klassische Schönheitsideal ad absurdum führt und die innere Schönheit nach aussen zu kehren vermag.
«Woman»: 11. Juni 2020, 18.30 Uhr, Premiere im Stattkino Luzern.