Eine Begegnung der Gegensätze: Im Musiktheater «Tell trifft Wagner» holt der Freiheitsheld den berühmten Komponisten per Armbrust vom Sockel.
Wagner trifft nicht jedermanns Geschmack. Aber wer erwartet schon, dass ein Komponist mit so hohen künstlerischen Ansprüchen allen gefallen muss? Vielleicht der Nationalheld der Musterdemokratie Europas, Wilhelm Tell. Die Veranstalter des Seelisberg-Rütli-Festivals versprachen zumindest, «die Götter Wagner und Tell von ihrem Sockel zu holen». Das ist ihnen am Mittwoch mit der Premiere von «Tell trifft Wagner» auch halb gelungen.
Vor einer idyllischen Bergkulisse wurde das Stück auf der Waldweidli-Wiese am Seelisberg uraufgeführt, wobei nur einer mit der Armbrust vom Sockel geholt werden musste, nämlich Wagner vom bodenständigen Tell.
Obwohl die Begegnung der beiden völlig fiktiv ist, verbindet sie der Ort. Der deutsche Opernkomponist weilte von 1866 bis 1872 zusammen mit seiner Geliebten Cosima in Luzern und unternahm von da aus auch Ausflüge nach Seelisberg. Für dramatischen Stoff sorgen Wagners damalige Probleme mit «Siegfried». 1869 erwartete Cosima bereits das dritte Kind von ihm, obwohl die Scheidung vom Ehemann Hans von Bülow immer noch nicht vollzogen war.
Grandios spielt Albrecht Hirche den duseligen Komponisten, der sich lieber im weichen Morgenmantel ins Zimmer verkriecht, anstatt die Probleme anzupacken. Die verzweifelte Cosima jagt dem Träumer mit der Peitsche hinterher, immer den weiten barocken Rock mit sich her schleppend, den sie auch nach der Geburt Siegfrieds nicht ablegt. Die ausgezeichnete Katka Kurze kann aber in dieser Rolle den Komponisten trotzdem zu nichts bewegen. Der wird nur durch die Schüsse aus der «hohlen Gasse» aufgeschreckt. Mit treffsicheren und sprudelnden Versen aus der Feder des Basler Autors Guy Krneta verlangt Tell, dass Wagner ihm über Nacht ein Heldenstück vollende, von dem bisher nur Fragmente überliefert seien.
Tells Forderung setzt mit einem Streich das Drama in Gang und den Bogen zur Musik. Der Westschweizer Komponist und Dirigent Betrand Roulet begleitet mit einem Laienchor und einem mit Hochschulabsolventen bestückten Orchester das Geschehen auf der Bühne.
Zahlreiche Wagner-Stücke mit Schweizer Bezügen dienen mal als abwechslungsreiche Vor- oder Zwischenspiele, mal zur dramatischen Untermalung der Handlung. Dazwischen findet sich auch eine Eigenkomposition Roulets. Der musikalische Part enthält wohl selbst für Wagner’sche Begriffe ein paar Längen. Auch Tell scheint nicht warten zu können, bis es endlich losgeht, und legt im Orchester selber Hand an.
Der Regisseurin Meret Matter gelingt es immer wieder, die Grenzen der Bühne zu erweitern und so die eindrückliche Naturkulisse mit einzubeziehen, während Andrea Zogg als schalkhafter Tell das Publikum direkt abholen kann. Ein Coup gelingt den Librettisten Krneta und Ursula Haas mit der wandelnden Rolle der Undine, in der Fabienne Hadorn aufblüht. Sie verkörpert als Wassernymphe die Naturkräfte des Orts und erscheint immer wieder als dienende Begleiterin des «Musikergottes»: zuerst in der Figur des bayerischen Königs Ludwig II., dann in der Rolle der verklärten Geliebten Mathilde Wesendonck und nicht zuletzt als – Heidi. Dank Tell findet der Stubenhocker Wagner den Bezug zur unberührten Natur und damit zu neuer Inspiration für sein Werk.
Hinweis
Weitere Aufführungen: Heute, 20 Uhr; Sa, 3. 8., So, 4. 8., Do, 8. 8., Fr, 9. 8., Sa, 10. 8., So, 11. 8., Do, 15. 8., Fr, 16. 8., Sa, 17. 8., und So, 18. 8., jeweils 20 Uhr, sonntags 15 Uhr. VV: www. seelisberg-ruetli-festival.ch
Weitere Bilder zur Inszenierung finden Sie auf www.luzernerzeitung.ch/bilder