Video- und Objektkünstlerin Olga Titus zeigt Filme und neue Werke aus Wendepailletten. Ihre bunt collagierten Bildwelten, die am Computer entstehen, werden so um eine «handfeste» Ebene ergänzt.
Sogar in der Kinderabteilung einer Kleiderboutique kann künstlerische Inspiration lauern. Das hat die gebürtige Luzernerin und heute in Winterthur lebende Olga Titus vor einiger Zeit erfahren. Da begleitete sie eine befreundete Mutter auf ihrer Suche nach Outfits für die Kleinen, als sie plötzlich ein T-Shirt mit aufgestickten Wendepailletten in den Händen hielt.
Sofort wusste sie: «Mit diesem Material will ich arbeiten.» Mehrere Monate und Arbeitsschritte später ist das ausgereifte Resultat dieses ersten, zündenden Funkens in der Kunsthalle zu sehen: Die 41-Jährige präsentiert hier neben filmischen Arbeiten jüngeren Datums ihre neu entstandenen, grossformatigen Tapisserien und eine Bodenarbeit mit berührungsmässig sehr reizvollen Plättchenapplikationen.
Es ist nicht verwunderlich, dass Titus von dem bunt schillernden Material fasziniert war. Die Künstlerin, die ihr Kunststudium an der Hochschule Luzern absolviert hat, ist in den letzten Jahren bekannt geworden für farbpralle Videocollagen und Objekte, die sich auf charmant witzige bis irritierende Weise aus unterschiedlichsten, kulturellen Bildwelten speisen. In der Filmanimation «Rainbow» von 2017 etwa, die in der Kunsthalle ebenfalls zu sehen ist, rutschen Indianer in Vollmontur, eine Kuckucksuhr, Lollipops und Fitnesstänzerinnen nacheinander über einen Regenbogen.
Als fruchtbaren Nährboden für solch kühn-heiteres «Sampling» wird oft Titus’ Elternhaus angeführt, das die Künstlerin mit dem malaysischen Vater und der Graubündner Mutter früh für kulturelle Codes und Klischees sowie für Fragen nach Selbst- und Fremdwahrnehmung sensibilisierte. Auch bei ihren verschiedenen auswärtigen Atelieraufenthalten seit 2006, etwa in Indien oder Buenos Aires, wird Titus diesen Thematiken begegnet sein.
Doch die effektiven Bildvorlagen für ihre überbordenden Fantasiewelten sammelt die Künstlerin schliesslich zu Hause, im Internet – halt so, wie man das heute macht. Neben den gefundenen Materialien, die oft einer assoziativen Logik folgend zum effektvoll sprudelnden Bilderfluss gefügt werden, tritt als «fleischliche» Protagonistin häufig die Künstlerin selbst vor die Kamera. Egal, ob sie sich als Exempel für den «Homo Artifex» im wörtlich verstandenen Dschungel der Kunstszene durchschlägt oder mit einem Hut aus Kunststofffrüchten und einem Eis aus Pappe den westlichen Inbegriff des Exotischen mimt – Titus beweist stets ein Gespür für stereotype Zerrbilder und auch für unterschiedliche filmische Genres.
Das weitläufige Umherschweifen in virtuellen Gefilden habe bei ihr aber auch die Lust am Analogen wieder geschürt, am Handfesten. Mit den neuen Paillettenwerken, die ebenfalls reichhaltig collagierte, indes nicht ganz leicht erkennbare Sujets zeigen, wird diese Lust gestillt: Erst, wenn man mit den Fingern über die schuppige Oberfläche des malerisch anmutenden Gewebes streift und so die Pailletten umlegt, offenbaren sie ihr Geheimnis: Die Rückseite der Plättchen ist nicht gleich bedruckt wie die Vorderseite und hält somit ein ganz anderes Gesamtbild bereit.
«Faux-Uni» nennt man in der Textilbranche Stoffe, die optisch einfarbig wirken aber tatsächlich aus einer sehr kontrastlosen oder kleinteiligen, kaum sichtbaren Musterung bestehen. Die Künstlerin kennt solche Fachausdrücke, weil sie vor ihrem Kunststudium, Ende der 1990er-Jahre, in St. Gallen Textildesign studiert hat. Aus diesem früheren Leben transportiert sie den Begriff in ihre Gegenwart und betitelt damit – passend zur Doppelbödigkeit der Paillettenbilder – ihre aktuelle Luzerner Ausstellung. Es ist eine Schau, die persönliche Noten ebenso wie allgemein relevante Fragestellungen beinhaltet. Im schimmernden Glanz von Titus’ Wendepaillettenbildern spiegelt sich wohl genau diese Sehnsucht nach dem real Fassbaren, das im digitalen Zeitalter Mangelware geworden ist.
Olga Titus: «Faux-Uni», Kunsthalle Luzern. Ausstellung bis 11.November. Vernissage: Freitag, 11. Oktober, 19 Uhr. Finissage: 11. November, 14 Uhr, inkl. Gespräch zwischen Künstlerin und Kurator, 15 Uhr.