Performance-Festival: Hier muss man die Gewohnheiten ablegen

Bis Ende Mai sind im Rahmen des Performance-Festivals «Eile mit Weile» im Akku Emmenbrücke die Arbeiten von rund 30 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Bereits der Eröffnungsabend am letzten Samstag verrät: Um Neues kennen zu lernen, muss man sich von Altem verabschieden.

Giulia Bernardi
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Die Performance von Mahtola Wittmer passte perfekt zum Wetter. (Bild: Luis Hartl / Akku, 4. Mai 2019)

Die Performance von Mahtola Wittmer passte perfekt zum Wetter. (Bild: Luis Hartl / Akku, 4. Mai 2019)

Und schon füllt sich der Raum, der soeben noch leer war: mit Menschen, Gelächter und den Geräuschen der Holzhocker, die über den Betonboden des ehemaligen Industriegebäudes geschleift werden. Heute kann man Platz nehmen, wo man möchte. Ungewohnt, kriegt man doch üblicherweise Anweisungen: Das ist Ihr Ticket, Platz Nummer 7.

Wie die Blicke einiger Besuchenden wandert auch der meine neugierig umher, auf der Suche nach einem Hinweis, was in den nächsten Stunden aufwartet. Von der Decke hängen sieben mit Wasser gefüllte Luftballons. Der Inhalt zieht sie in die Länge, was ihre Enden fast so dünn wie die Schnur werden lässt, an der sie befestigt sind. Obwohl die drei Planen, die darunter ausgelegt sind, womöglich einen Hinweis liefern, ist noch alles ungewiss. Ungeduldig rutsche ich auf dem Hocker herum, schaue umher, ob ich etwas übersehen habe.

Lange Sprechpausen statt Nonstop-Entertainment

Schliesslich eröffnen die Organisatorinnen Lena Friedli und Judith Hofer das Abendprogramm. Doch auch diese Begrüssung ist nicht so, wie erwartet. Während die Akku-Kuratorin Lena Friedli auf der einen Seite des Raumes steht, befindet sich die Performance-Künstlerin Judith Hofer auf der anderen. Abwechselnd sagen sie je einen Satz, nähern sich einander, machen lange Sprechpausen, die den Raum mit Stille füllen. Seltsam ist dieser langsame Rhythmus, wird man sonst doch nonstop unterhalten.

Doch genau dieses entschleunigende Moment passt bestens zum Festival «Eile mit Weile», bei dem man sich in den nächsten zwei Wochen Zeit nehmen kann, um sich an die Kunst der Performance heranzuwagen. Während einiges nur einmal stattfindet, wird anderes täglich wiederholt. So jene von Patrizio Welti, der jeden Abend um 18.55 Uhr seine «Klepsydra» in Gang setzt, eine Installation, die auf der gleichnamigen Wasseruhr aus dem antiken Griechenland basiert. Statt aber, wie bei einer Sanduhr, das Wasser von einem Behälter in den anderen fliessen zu lassen, läuft es einfach aus.

Während Welti die Bedeutung der Zeit relativiert, sie als menschengemachtes Messins­trument trivialisiert, verleiht Sophie Germanier der Architektur anthropomorphe Eigenschaften. Ihre performative Arbeit «FulFill» besteht aus einem Audioguide und einem Grundrissplan, mit dem die Besuchenden durch den Raum geführt werden. So steht man vor der weissen Wand, während Germanier einem ins Ohr flüstert: «This wall rolls its eyes in a dramatic manner.»

Sie überschüttet sich mit Zucker und Konfetti

Die erste Performance ist jene von Gisela Hochuli. Dafür erhielt die Künstlerin die Anweisungen verschiedener Kunstschaffenden, die sie nun performt: Sie lehnt an der Wand, lässt ihren fast leblos wirkenden Körper zu Boden sinken, rudert mit den Armen, schreit. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich: einige Zuschauer lachen auf, andere blicken ernst oder irritiert. Als Hochuli das Publikum auffordert ihr nachzusprechen, bleibt es still.

Hochuli, die mittlerweile im Bikini im Raum steht, stellt sich unter die Luftballons, zersticht sie, wobei ihr das Wasser ins Gesicht platscht. Danach überschüttet sie sich mit Zucker und Konfetti, was in ihren Haaren und auf ihrer Haut kleben bleibt. Nach der Performance sind nur noch die Spuren übrig: Die nasse Plane, der aufgeweichte Zucker.

Die ungewohnten Handlungen führen einem an diesem Abend das eigene Verhalten, die eigenen Erwartungen und Sehgewohnheiten vor Augen und locken, soweit man es zulässt, aus festgefahrenen Denkmustern her­aus. Denn die Performances zeigen, wie unbedeutend Zeit ist, sofern man ihr keine Bedeutung beimisst, und offenbaren die Magie des Alltäglichen, selbst jene eines leeren, weissen Raumes.

«Eile mit Weile» gehört zum Projekt «Die andere Zeit» der Albert Koechlin Stiftung. Noch bis 18. Mai. Akku Kunstplattform, Gerliswilstr. 23, Emmenbrücke. www.akku-emmen.ch.